Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
Vom Netzwerk:
wußte er nun immerhin über sie: aus welchem Ladenihre Kappe stammte, er wollte nicht herausfinden, warum ihn das freute. Kletterte die Stiege hinauf in das Restaurant. Bekam einen Fensterplatz: wo er saß wie auf einem Schiff, weil der erste Stock weit über das Erdgeschoß bis aufs Wasser hinausragte, er bestellte gekochten Hummer. Sah Möwen zu, die im Wind standen wie Kinderdrachen, trank Bier. Trank eiskaltes Heineken aus der Flasche, während die Sonne durchs Fenster hereinbrannte, drüben am anderen Ufer schwappten Boote um einen Holzsteg. Auf dem Deck einer kleinen Motorjacht hantierten zwei Männer mit Seilen und Eimern. Wenn er sich vorbeugte, sah er die offene See. Der Hummer wurde mit Fritten und Cole slaw serviert. Mit einem Töpfchen geschmolzener Salzbutter, einem Nußknacker. Einem Ketchuptütchen: das ihn amüsierte. Ihn freute: wie die Resopaltische, Chromstühle. Wie die Kappe aus Harveys Anglerladen, das aufschäumende Wasser am Heck eines Bootes: das vom Schiffsrumpf des Lokals ablegte, während er das süße Fleisch aus den Scheren des Hummers herausbrach, sich nebenbei wünschte, etwas von Booten zu verstehen, das Mädchen mit der Kappe erklärte ihm, wo er war.
    Erklärte ihm den Weg nach Providence, nun fuhr er zügig, konzentriert. Dachte zum ersten Mal an den Job, der vor ihm lag: Gabriel Phillips’ verrücktes Haus, sah dann irgendwo an der Straße ein Schild: Artificial limbs. By appointment only .
    Künstliche Gliedmaßen, nur nach Vereinbarung, in seinem riesigen gemieteten amerikanischen Schlitten brach er in Gelächter aus, Verzeihen Sie bitte! Ich kam gerade vorbei und dachte mir, ich würde gern ein Holzbein mitnehmen. Tut uns leid, Holzbeine nur nach Vereinbarung.Aber wie wäre es mit einem Arm? Welche Größe brauchten Sie denn, also nein, dieser ist doch etwas zu dunkel für Sie. Aber die anderen drei stehen Ihnen ganz ausgezeichnet, er sah Robert Brauer vor sich: in einem Heiligenschein aus Holzarmen wie eine indische Götterfigur, er lachte allein, ein bißchen hysterisch. Als er kurz vor Providence war, begann es zu dämmern.
    Als er die Sagamore Bridge erreichte, war es tiefe Nacht, weiter draußen auf der Buzzard’s Bay blinkten Schiffe. Er hielt nicht. Überquerte den Cape Cod Canal, übernachtete im ersten Bed and Breakfast, das er auf der anderen Seite fand: wollte das Cape nicht bei Dunkelheit hinauffahren. Wollte die Landschaft sehen, die Bebauung. Mußte auf Windverhältnisse achten, auf Sonneneinfall, um herauszufinden, in welche Umgebung sich Gabriels Haus einfügen sollte, am nächsten Morgen fuhr er die 6a hoch, auf der Seite der Bay.
    Colonials unter Bäumen, mit breiten Veranden. Zaunlose Gärten. Salt boxes, die aussahen wie Monopoly-Steine, alle Häuser aus Holz: Shingles, grau verwittert, Clapboard, weiß oder pastellig gestrichen, der Wind roch nach Salz. In Orleans wimmelte es plötzlich von Fahrradfahrern. Um die Tümpel bei Eastham stand hohes Schilf, er sah einen Reiher, der silbrig aufflog. Sah Wolken vom Horizont über den Himmel heraufklettern, Wolkenschatten über die Wattwiesen wandern, am Strand, auf den Dünenkämmen vor Provincetown reihten sich bonbonfarbene Vorkriegs-Strandhütten aneinander, die ihm gefielen. Gabriels Haus war eines der ersten in Provincetown selbst.
    Salzzerfressen. Schwarzverwittert. Mehr Schuppen alsHaus. Oder zwei Schuppen: Pfahlbauten, in spitzem Winkel so aneinandergebaut, daß es aussah, als wären sie ineinander verkantet, die Schindeln der Verkleidung waren zum großen Teil abgefallen. Die Sonnendecks ragten in den Raum wie die Ellenbogen eines ungelenken Halbwüchsigen, er las noch einmal den Zettel mit der Adresse, aber es gab keinen Zweifel: Dies hier war Gabriels Haus. Gabriel Phillips’ verrücktes Ding. Windschief, gezeitenschief stelzte es durch den Sand der Bucht, ein hochbeiniger alter Wasservogel. Die Pfähle bewachsen mit Algenbärten. Überkrustet von Geisterstädten längst ausgestorbener Muschelkolonien: an denen er mit dem Taschenmesser herumkratzte, er war überwältigt von der Vielfalt der Möglichkeiten, die das Haus bot. Die es ihm bot, er dachte an die Stülpschalung eines Hauses am Oslofjord. Gleichzeitig fiel ihm ein von Wein überwucherter oberitalienischer Schuppen ein, die Sonne war heiß auf seinen Schultern. Der Tangteppich federte knisternd bei jedem seiner Schritte, er verlor sich in Einzelheiten. Dachte über Treppengeländer nach, Fensterrahmen. Erinnerte sich an eine besondere

Weitere Kostenlose Bücher