Meer ohne Strand
Türklinke: die er einmal irgendwo gesehen, nun unbedingt für dieses Haus wiederzufinden hatte, er rief sich zur Ordnung.
Durfte den Gesamtzusammenhang nicht aus den Augen verlieren: Es ging um ein in sich schlüssiges Wohnobjekt. Funktional, aus einem Guß, er zog seine Schuhe aus. Ging hinunter zum Wasser. Ging ein Stück am Strand entlang, drehte sich wieder zu dem Haus um. Pfiff etwas: Cirrus Minor, er würde hier monatelang zu tun haben. Würde zwischen Deutschland und Amerika hin- und herfliegen, den ganzen langen Sommer lang.
Nach München zurückgekehrt, begann er sofort zu arbeiten. Überließ den Speditionsneubau Bogner, vergrub sich in Fachliteratur: die er seit seiner Studienzeit nicht mehr in den Händen gehabt hatte, das Haus war verletzt: Deshalb lag seine Konstruktion bloß. Sein Wesen, er würde die Fassade restaurieren. Würde das Haus entkernen, Wände einreißen, Decken durchbrechen, freistehende Wandscheiben errichten für Gabriels Grafiken, von der Galerie im obersten Stock würde man hinab in den Hauptraum, zugleich hinaus auf den seewindumtosten Widow’s Walk blicken können, Gabriel Phillips war von den Plänen begeistert. War bewegt, drückte Robert die Hand,
Du hast wirklich Gespür für das, was ich mir vorgestellt habe, Robby,
Aber ging es um Gabriel Phillips? Robert flog wieder zurück. Nach Boston, er nahm von Boston nun immer die Sommerfähre: die ihn in Provincetown mit der üblichen Schiffsladung voller Tagesausflüglern ausspuckte, es war Ferienzeit.
Alle waren jung. Oder wirkten doch jugendlich, alle waren durchtrainiert, sonnigen Gemütes: als wäre es erste amerikanische Staatsbürgerpflicht, gesund und glücklich zu sein, die Cafés der Commercial Street waren belagert von Paaren jeglichen sexuellen Bekenntnisses. Paare strudelten durch die T-Shirt-Läden. Braungebrannte Pärchen beträufelten einander mit Sonnenöl, ließen am Herring Cove Beach eng umschlungen die Sonne untergehen, flirteten in den Bars bis zum Morgengrauen, ob Natalie wohl den anderen mit in die Wohnung nahm, wenn Robert nicht da war?
Ob sie mit ihm in Roberts Bett schlief, er würde sie verlieren, wenn er nicht da war. Er mußte sich jedenfalls um seine Projekte kümmern. Um den Speditionsneubau, er konnte Udo Bogner nicht ständig alleinlassen, Robert flog zurück nach München.
Flog nach zwei, längstens drei Wochen zurück nach Boston: heilfroh, dem Büro wieder entfliehen zu können. Natalie zu entfliehen: dem exaltierten Rausch ihres Glücks, dem dumpfen Schweigen ihrer Verzweiflung. Dem kleinen Geräusch, das von sich zu geben ihr zur Gewohnheit geworden war, kein Stöhnen: ein Herauspressen der Atemluft durch die zusammengebissenen Zähne, die Arbeit an dem Haus ging langsamer voran als geplant.
Schon weil der Urlaubsverkehr die Straßen verstopfte. Alle Hotels auf dem Cape waren belegt. Alle Pensionen, Privatzimmer waren ausgebucht, zum Glück war Roberts Zimmer bis Ende Oktober reserviert. War bereits bezahlt: von Gabriel Phillips, die Betreiber der kleinen Pension waren nette Leute. Schwule aus Connecticut, Jay saugte die Flure. Bernie wischte Staub. Patrick stand an der Rezeption und stöhnte über seinen Freund, der nicht arbeiten wollte, sie hatten ihre eigene Szene: in der Robert nichts zu suchen hatte. Auch wenn sie ihm, dem Stammgast, erlaubten, in ihrer Küche Kaffee zu kochen, ihm Zeitschriften über Architektur hinlegten, an Wochenenden war ihm Provincetown mit seinen Party people jetzt unerträglich. Er nahm die Fähre nach Boston, nur um irgendwo anders zu sein, in einer Trattoria trank er Campari. Dann schritt er den Freedom Trail ab, zum wievielten Mal? An einem Samstagmorgen fuhr er nach Rhode Island.
Quälte sich durch den Stop-and-go-Verkehr. Schwitzte, schimpfte, verfluchte sich und seine Idee, war drauf und dran umzukehren, sah dann bei Sandwich das Schild: Heritage Plantation. Erinnerte sich mit einmal an Julia.
An die Sammlerin von Americana: die er kennengelernt hatte, als er das zweite Mal auf dem Cape gewesen war, sie hatte neben ihm an der Bar gesessen. War mit einer Freundin übers Wochenende aufs Cape gekommen, nicht etwa wegen der Strände: wegen der Heritage Plantation of Sandwich, was es da gab? Drucke, Auto-Miniaturen. Ein Karussell von 1912, und dann diese fürchterlichen Kinderporträts, Julia und ihre Freundin wollten sich totlachen,
Really, Robert! Die grauenhaftesten Kinderporträts der Kunstgeschichte. More unflattering likenesses of children have
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