Meer ohne Strand
schwach nach ihm roch, Zigarettenrauch, Sommerhaut, gegenüber blinkte eine Leuchtreklame an einem geschlossenen Take out, Miller light . Einmal hörten sie Stimmen, irgendwo weiter weg auf der verlassenen Straße. Dann wurde es wieder still. Weiter drüben rauschte das Meer,
»Soll ich dir was erzählen?«
So begannen seine Geschichten.
»Soll ich dir was erzählen von früher«,
Sie konnte seine Zigarette in der Dunkelheit aufglühen sehen. Das Kind schlief schon lange drinnen, auf dem großen Bett, sie wußte nicht, warum sie jetzt daran dachte. Sie sagte,
»Ja, Jacques, erzähl was«,
Er schwieg. Rauchte. Lauschte vielleicht der Geschichte in seinem Kopf: bevor er sie Sina erzählte, er sagte,
»Also.« Drückte die Zigarette aus, fixierte die Leuchtreklame gegenüber, »Was ich jetzt erzähle, das war in Miami. Ich kam von irgendwoher nach Hause. Es war ziemlich spät, vielleicht so gegen zwei. Ich war erst fünfzehn, aber ich konnte so ziemlich machen, was ich wollte, wir wohnten damals bei meinem Onkel im Haus, meine Mutter und ich. Aber der war nie da. Und meine Mutter bediente abends in einer Kneipe, ich mußte also sogar machen, was ich wollte. Niemand sonst wollte schließlich irgendwas von mir, jedenfalls, ich gehe durch den Vorgarten. Es ist stockdunkel. Nirgendwo brennt ein Licht, es ist also mal wieder niemand da. Ich gehe die Stufen zur Veranda rauf. Krame in der Tasche nach meinem Schlüssel, da höre ich, daß der Schaukelstuhl wippt. Krrk krk, krrk krk. Es ist keiner da, verstehst du? Aber der Schaukelstuhl wippt. Ich kann nichts sehen, dazu ist es zu dunkel. Ich kann mich kaum rühren, vor Schreck, da steht er aus dem Schaukelstuhl auf. Es ist ein Mann. Ein Riesenkerl, ich dreh mich um und will türmen, aber da hat er mich schon am Kragen. Hält mich am Kragen gepackt, hebt mich hoch, es ist mein Vater. Mein Alter, seine Stimme ist total freundlich. Er sagt zu mir: Ich könnte dich jetzt totmachen.«
Jacques hielt inne. Zündete eine neue Zigarette an, blickte in die Dunkelheit: wo die Miller-Reklame aufflammte, erlosch, erneut aufflammte,
»Weiter«, sagte Sina. Jacques nickte. Sah durch die zugenagelten Fenster des Take out in die Vergangenheit, sagte,
»Meine Füße baumeln einen halben Meter über demBoden. Mir klappern die Zähne, vor Schiß, der Alte schaut mir ins Gesicht. Er denkt richtig angestrengt nach. Er sagt: Weißt du, warum ich dich nicht totmache? Seine Stimme ist total glatt, wie frisch geölt. Er schüttelt mich so ein bißchen, wie eine Katze es mit einer Ratte macht. Dann sagt er: Weil ich gut bin. Er sagt: Ich mach dich nicht tot, weil ich gut bin.«
In der Dunkelheit rauschte das Meer sehr laut. Ein Auto fuhr langsam an ihnen vorbei: irgend etwas Hellblaues mit Chrom, das um die Kurve verschwand, Jacques rauchte, trank Bier. Sagte,
»Am nächsten Morgen habe ich dann mit den Messern angefangen. Ich hatte natürlich schon längst ein Messer. Aber ich konnte noch nicht jonglieren. Ich konnte noch nicht auf fünf Meter das Herz-As ins Herz treffen«,
»Und dein Vater?« sagte Sina. »Was hat dein Vater gemacht«,
In der Dunkelheit konnte sie sehen, wie Jacques die Schultern hob. Wie er die Arme verschränkte,
»Nichts, was weiß ich. Er hat mich wieder hingestellt. Ist die Stufen runter in den Garten, dann weg, in die Dunkelheit rein«, Jacques hustete. Kratzte sich am Arm, sah sie nicht an. Sah die Neonreklame an: in deren Licht die Vergangenheit aufflammte, wieder erlosch, er sagte: »Kurz danach hat er sich ja erschossen. Hat sich mit einer Schrotflinte in den Mund geschossen, er hatte recht, weißt du. Ich denke, er hatte recht mit dem, was er in der Nacht gesagt hat. Oder weißt du einen anderen Grund? Weißt du, warum man nicht jemanden umbringt«,
In dieser Nacht teilten sie zum erstenmal miteinanderein Bett. Nahmen das Kind in die Mitte, schliefen in ihren T-Shirts. Schliefen, ohne einander zu berühren: jeder auf seiner Seite, in dem riesigen Bett.
Die Rechnungen beglichen sie gemeinsam. Darauf bestand er: Er wollte nicht, daß Sina Geld für ihn ausgab, warum eigentlich nicht? Sie sparte schließlich Hotelkosten in Billy Todds Wohnung, wovon lebte Jacques überhaupt? Vielleicht vom Jonglieren. Vielleicht von kleineren Drogendeals, Gelegenheitskriminalität, manchmal telefonierte er, wenn Sina nicht im Zimmer war. Beendete das Gespräch, sobald sie wieder hereinkam, sie fragte ihn nichts. Einmal sagte sie zu ihm: Ich wollte Tänzerin werden, aber es
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