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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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macht in seinem Leben, mir geht es gar nicht mehr darum, ob sich etwas lohnt. Ich habe jetzt jedenfalls diese Ziegen«,
    Sie schwammen langsam zum Strand zurück. Die Ziegen rochen nach nassem Pullover. Judith rubbelte sie mit einem Badetuch ab, sie sagte: »Wie lange bleiben Sie in Amerika?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Sina. »Sechs Wochen, ich weiß nicht«,
    »Bleiben Sie bloß im Süden«, sagte Judith. »Wenn Sie noch ein bißchen herumreisen wollen, dann bleiben Sie hier unten, oben im Norden ist es zu kalt jetzt«,
    Sie hatte keine Kleider dabei, keinen Bademantel. Schlang sich das nasse Ziegenhandtuch um die eigenen Schultern, lächelte Sina zu. Gab den Ziegen einen Klaps, ging mit ihnen davon, Sina sah ihr nach. Sah sie den Strand hinaufgehen, barfuß, weiter oben drehte Judith sich noch einmal um. Winkte Sina zu. Rief etwas,
    Take good care of yourself,
    War es das, was sie gesagt hatte? Sina war nicht ganz sicher. Erwog einen Moment lang, ihr nachzulaufen, sie zu fragen, ließ es dann aber bleiben, Jacques saß mit dem Kind im Sand. Türmte Sand über die Füße des Kindes, das brabbelte, quietschte: Und was mochte Judith wirklich gerufen haben? In dieser Nacht träumte Sina von ihrer Mutter.
    Träumte den Kindertraum, zum erstenmal wieder seit langem, ihre Mutter stieg langsam eine Leiter herab. Stieg mitten durch die Decke in Sinas Kinderzimmer, ihr Gesicht war weich, traurig. Sie sah nicht aus wie die Frau auf den Fotos: Sie sah Sina ähnlich. Lächelte mit Sinas Mund: kam aber nicht an ihr Bett. Trat statt dessen an den Tisch. Faltete sorgsam die Kleider zusammen, die Sina unordentlich über die Stuhllehne geworfen hatte, Sina wollte aufspringen. Wollte die Decke abwerfen, in die Arme ihrer Mutter laufen, konnte sich aber nicht regen. Konnte sich überhaupt nicht bewegen, versuchte es mit aller Macht. Konnte nicht einmal rufen: quälte und quälte sich, bis sie schließlich erwachte. Im Morgengrauen, auf einem tränendurchweichten Kissen. Wie immer.
    In der Küche machte Jacques Frühstück.
    Machte jeden Morgen das Frühstück, briet Eier, buk Pfannkuchen bei Radiogedudel, das Kind robbte Sina entgegen, sobald sie die Küche betrat. Es krabbelte nicht. War fast ein Jahr alt, hätte doch sicher schon krabbeln sollen, sie würde sich darum kümmern müssen: Und was meinte sie damit? Wie lange hatte sie denn vor zu bleiben? Nach dem Frühstück fuhren sie immer an einen Strand. Lagen im Sand, sahen den Pelikanen zu, die über dem Wasser kreisten. Buken Sandkuchen mit dem Kind, kauften Austern in einer Raw Bar, einmal sahen sie weit draußen Delphine.
    Einmal gingen sie in die Eisdiele neben dem Einkaufs-Zentrum. Wo Maurice mit zusammengezogenen Brauen Strawberry Fudge in seinem Mund zerfließen ließ, Sina kauerte vor dem Buggy. Schob einen Finger in die Hand des Kindes: die ihren Finger umklammerte, entschlossen und eisklebrig, als sie gingen, hob Sina Maurice aus dem Buggy. Ließ sich den Hals mit Strawberry Fudge vollschmieren. Trug das Kind zum Auto zurück, spürte es schwer werden auf ihrem Arm: wußte, daß es jetzt einschlief, im Auto setzte sie sich in den Fond, hinter Jacques. Hielt das Kind auf dem Schoß, spürte ihren Arm feucht werden von dem Schweiß, der sich in seinem Nacken bildete. Als sie aufsah, begegnete sie im Rückspiegel Jacques’ Blick. Den er sofort wieder abwandte: eilig, als hätte sie ihn bei etwas ertappt.
    Manchmal gingen sie abends in eine Kneipe. Saßen auf rohen Holzbänken, auf Plastikstühlen. Tranken Bier, Margaritas aus Pitchern, aßen Barbecued chicken wings oder Fried shrimps, das Kind zerbröselte Taco chips. Zermantschte Brot in dem Bier, das auf den Tisch geschwapptwar, sein Gesicht eine Karikatur erwachsener Nachdenklichkeit,
    »Ich glaube, er wird Wissenschaftler«, sagte Jacques. »Oder Forscher, oder Philosoph«,
    Er nannte das Kind niemals Maurice. Nannte es immer das Baby, das Kind: als wäre es das einzige seiner Art,
    »Warum eigentlich, Jacques? Warum nennst du ihn nie bei seinem Namen«,
    Er sah an ihr vorbei. Hob die Schultern, verschränkte die Arme,
    »Tue ich nicht? Was weiß ich, ist doch egal«, er sagte, »Komm, wir gehen. Schau mal, das Baby schläft schon.«
    Manchmal fuhren sie tagsüber zu weit, um am Abend zurückzukehren. Übernachteten irgendwo an der Westküste in einem pastellfarbenen Billighotel, saßen auf Hockern vor der Zimmertür, die direkt auf den Parkplatz ging, die Nacht war kühl. Er holte ihr einen seiner Pullover: der

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