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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Zahnpasta in seinem Atem. Roch Rasierwasser, Zigarettenrauch: Männergeruch, sie ließ ihn los. Wußte aber, was sie jetzt zu sagen hatte,
    »Ich möchte mir gerne das Haus ansehen, Robert. Dieses Haus, dein Haus. Das du gemacht hast, ich kenne ja nur das untere Stockwerk«,
    Er hatte daran noch nie gedacht. Half ihr in den Bademantel. War plötzlich aufgeregt: Noch niemand hatte das Haus besichtigt, durchs Treppenhaus floß Licht in langen blonden Strähnen. Sie stützte sich auf das Geländer. Legte den anderen Arm um seinen Hals, im ersten Stock öffnete er alle Türen. Sah seine Zimmer: die Waben waren, honighell in der Morgensonne,
    »Es ist wunderbar, Robert! Dein Haus ist wunderbar«,
    Durch die Glasfronten strömte der Himmel herein, wolkengeriffelt wie Sandstrand bei Ebbe. Sie kletterten weiter hinauf, er sah die Farben des Hauses, als hätte nicht er selbst sie ausgesucht. Sand, Himmel, Wasser, sie schenkte es ihm: Gabriel Phillips’ Haus. Stieß Fenster auf. Ließ Wind in die Zimmer, Wolkenvorhänge bauschten sich, auf dem gesunden Bein hüpfte sie hinaus auf den Widow’s Walk. Auf die Galerie, die das Dach umgab, der Seewind füllte den Raum zwischen ihr und dem Himmel. Flog ins Haus hinein, ließ irgendwo unten gutgelaunt eine Tür knallen, sie wollte über die Außentreppen hinabklettern: die zu schmal waren, als daß er hätte neben ihr gehen können, sie setzte sich auf die oberste Stufe. Rutschte die Treppe auf dem Hintern hinunter, während er ihr Bein stützte, sie lachten beide. Ihr Gesicht war ihm vollkommen fremd, wenn sie lachte. Er begriff, er mußte noch einmal von vorn anfangen.
    Mußte sie neu für sich entdecken: diese Fremde, die lachen konnte, und war es nicht das, worauf er die ganze Zeit gewartet hatte? Auf die Wiederkehr ihrer enormen Kraft: deren Hauch er gespürt hatte, sie rief: »Und deine Treppen sind wie Brücken! Bist du mal nach Key West gefahren? Über die Seven Mile Bridge, den Overseas Highway«,
    Sobald ein Schmerzschatten über ihr Gesicht huschte, erkannte er sie. Erkannte die wieder, die ihm vertraut war: die Eisprinzessin.
    Die Schmerzen kehrten manchmal zurück. Ein Echo der Schmerzen: erträglich, sie räumte ihr Zimmer um. Verschob das Korbsofa, stellte eine Lampe ans Bett: wollte vorhanden sein in diesem Haus, Spuren ihrer Anwesenheit hinterlassen, sie stellte den Gipsabdruck ihres Fußes auf den Kaminsims.
    Mußte bei sich selbst anfangen, wenn sie wissen wollte, was geschehen war, ihre Zehen waren amputiert. Sie war endgültig keine Tänzerin mehr. Hätte jetzt damit aufhören müssen, selbst wenn sie das Tanzen je zu ihrem Beruf gemacht hätte, eigentlich war es eine Befreiung: etwas ganz und gar verloren zu haben, sie sagte das zu Robert. Sagte,
    »Aber ich habe alles verloren. Ich habe keinen Job mehr. Ich habe mein Konto in Deutschland abgeräumt, ich lebe die ganze Zeit von deinem Geld! Ich kann doch nicht ewig von deinem Geld leben, und was ist mit dir, Robert? Wie kannst du überhaupt dein Büro ständig allein lassen«,
    Er war mit ihr unten am Strand, vor dem Haus. Das Licht über dem Wasser war dünnflüssig: Frühsommer, der Wind kam vom Land und schmeckte hellgrün. Die dicke Tangschicht verhinderte das Einsinken ihrer Krücken, er sagte,
    »Das mit dem Geld ist nicht so wichtig, Sina. Bitte sorge dich nicht um Geld, du weißt doch, Udo Bogner kümmert sich um das Büro«,
    Bogner hatte gestern angerufen. Um eine Entscheidungabsegnen zu lassen: der Umbau der Fabrikhalle, dann hatte er noch etwas gesagt. Etwas Seltsames: Ein Amerikaner hatte für Robert angerufen. Ein Kollege augenscheinlich, und nein, seinen Namen hatte er nicht genannt. Aber Bogner hatte ihm Roberts Telefonnummer gegeben. Sicher würde er sich bei Robert melden, Robert trug Sina über den Sand. Konnte sich nicht vorstellen, wer der Anrufer gewesen sein mochte, half Sina, sich zu setzen, sie sagte: »Vermißt dieser Udo Bogner dich nicht?«
    Zog einen Schuh aus, einen Strumpf. Grub fünf Zehen tief in den Sand, sagte: »Vermißt dich denn keiner? Hast du keine Familie, irgendwo«,
    Robert sagte: »Nein.«
    Wollte nicht weiterreden. Kniete vor ihr nieder. Nahm ihren anderen Fuß in die Hand, löste den Schnürsenkel,
    »Nicht, Robert, was machst du denn da«,
    Er sagte: »Wir sind doch allein hier.«
    Zog ihr den Schuh aus, den Strumpf. Ihre Beine lagen flach im Sand. Ihre Füße ragten nebeneinander empor, Hundertzwanzig-Grad-Winkel, einer lang, einer kurz. Sie fing an zu weinen. Er

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