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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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sie es nicht ertragen, soviel war klar. Er hörte sie sagen,
    »Ich habe es satt. Ich habe es so satt zu leiden, ich bin so wütend, Robert. Ich war noch nie so wütend, bitte ruf Jeremy für mich an. Er soll es probieren, das mit seiner Massage. Ich probiere jetzt alles. Bachblütentropfen und Urschreitherapie und Gesundbeten und Handauflegen, völlig egal, wieviel Leute haben jetzt schon an mir herumgedoktort? Ich bin zu allem bereit. Ich habe die Schmerzen satt, satt, satt.«
    Jeremy kam am nächsten Abend. Hatte ein Buch mitgebracht über seine Massagetechnik, sie würdigte es keines Blickes. Humpelte auf ihren Krücken voran, in ihr Schlafzimmer, Robert folgte. Blieb in der Tür stehen: ein Wächter, sie legte sich auf das Bett. Jeremy trat an das Kopfende. Sagte,
    »Liegst du bequem. Fühlt es sich richtig an, wie du liegst«,
    Der Tonfall deutete etwas an: ein Ritual. Das Jeremy veränderte, ihn konzentrierte wie Hitze eine Flüssigkeit, so daß der Ladenbesitzer, der Cafebesucher verdampften, Jeremy sagte: »Erlaubst du, daß ich deinen Kopf berühre.«
    Sie nickte, mit geschlossenen Augen. Jeremy nahm ihren Kopf in die Hände. Ließ seine Hände wandern, berührte ihre Narbe. Verhielt.
    Bewegte dann die Hand, leicht, die Bewegung folgte einemRhythmus. Verfolgte, kopierte eine Bewegung in Sina oder rief sie vielleicht auch hervor, ihr Kopf begann, sich zu drehen.
    Wandte sich langsam nach rechts: als wollte sie über die Schulter zurückblicken, ihre Beine begannen zu zucken. Sie stöhnte. Wimmerte dann, dünn und schrill, ihre Hände flogen hoch zu den seinen: Aber er hatte sie bereits losgelassen. Sie schlug die Augen auf, mühsam. Flüsterte: »Ich kann es nicht. Ich habe den Mut nicht, es tut mir leid, Jeremy«,
    Robert brachte Jeremy zur Tür. Als er zu Sina zurückkehrte, schlief sie.
    Aber etwas war passiert. Der Schmerz war genauso heftig wie immer: Aber sie war nicht mehr allein mit ihm. Jeremy war mitgekommen. War ihr gefolgt, mitten hinein in das Zentrum des Schmerzes, als er das nächste Mal kam, brachte er ihr ein Geschenk mit.
    Eine flache Schale aus grauem Stein, Robert half, sie hinaus auf das Sonnendeck zu schleppen. Wo Sina in ihrem Liegestuhl saß, Jeremy sagte: »Die Schale ist für dich. Zum Reden. Weil du es schwierig findest, mit mir zu sprechen, ich habe mir gedacht, du könntest dir vielleicht vorstellen, daß du mit deinen Worten die Schale füllst. Ich müßte mehr über dich erfahren, wenn ich dir helfen soll«,
    Sina sagte: »Die Schale ist schön.«
    Sagte nichts weiter. Griff nach ihren Krücken, humpelte ihm voraus.
    Er formte ihren Kopf: So fühlte es sich an. Er gab ihrem Kopf seine ursprüngliche Form zurück, etwas entglittihr: ihr Körper, der auf dem Bett lag. Zugleich tauchte sie in diesen Körper ein. Er kam mit. Folgte ihr mitten hinein in das glühende Land, Kälte durchrieselte sie. Ihre Zähne schlugen aufeinander, etwas kam näher. Etwas wollte ihren Kopf nach rechts drehen, der Schmerz wurde unerträglich. Trauer, Angst schlugen über ihr zusammen in stinkenden Wellen, Jeremy löste die Hände von ihrem Kopf, einen Moment, bevor sie bewußt widerstrebte. Als sie die Augen öffnete, war Robert da. Stand über sie gebeugt, wischte ihre Tränen ab. Deckte sie zu, Jeremy sagte: »Du warst sehr tapfer. Wir kommen weiter, ich rufe dich an.«
    Rief jeden Morgen an. Kam regelmäßig, er geleitete sie durch den Schmerz. Ging Schritt für Schritt mit ihr durch das glühende Land: das ganz allmählich hinter ihr zurückblieb, führte sie zurück in ihren Körper, sie übte das Stehen mit einer Krücke. Brauchte noch immer beide Krücken zum Laufen, konnte sich aber mit einer behelfen, wenn sie stand, sie wollte nicht mehr, daß Robert ihr im Bad half. Er stand vor der Tür, wenn sie sich wusch. Fürchtete, sie könnte ausrutschen, fallen, ertappte sich dabei, daß er sie sich vorstellte dort drinnen. Sie war groß. War sehnig, kräftig, soviel wußte er noch: Aber ihr Körper wurde ihm fremd, jetzt, wo sie wieder in ihn zurückkehrte. Ihn selbst wieder in Besitz nahm, sie lehnte am Geländer des Sonnendecks.
    Jeremy und Robert saßen am Tisch. Wo noch die Teller mit Reisresten, Shrimpsschalen standen, Robert hatte gekocht. Fand allmählich Spaß daran zu kochen, mit Jeremy über Rezepte zu fachsimpeln, es war früher Abend. Die Bucht war silbrig still, voller Tanggeruch. Sina redete.
    Erzählte endlich, was sie noch wußte von ihrer Geschichte. Erzählte es Jeremy: oder

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