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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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vielleicht doch ihm, Robert, und Jeremy war nur eine graue Schale, die sie mit Worten füllte, wieviel verschwieg sie, während sie sprach? Manchmal brach sie mitten im Satz ab. Ging dann ins Haus, war dies die fünfte Sitzung, die sechste?
    Das Gefühl war ihr jetzt schon vertraut: das Verblassen des Zimmers. Das Verblassen ihrer eigenen Gegenwart in diesem Zimmer, Jeremy berührte ihr Bein. Strich mit den Händen darüber, ihre Tränen kamen in Schwallen: Aber sie selbst war gar nicht beteiligt. Sah sich zu, wie sie weinte,
    »Warum weine ich so, Jeremy«,
    Er sagte: »Es ist die Angst. Die Demütigung, du hast etwas Furchtbares mit dir machen lassen müssen«,
    Die Worte hallten durch ihren Kopf, als wären sie unter dem Gewölbe ihrer eigenen Schädeldecke gesprochen worden, jemand in ihr schluchzte laut auf. Brach sich endlich Bahn, mit diesem Aufschluchzen, sprengte aus der Mitte ihres Körpers heraus: aus dem Angstknoten dort, ihr Körper krampfte sich zusammen. Begann zu zucken, unwillkürlich wie unter den Fingern eines geschickten Liebhabers, ihr Kopf wand sich unter Jeremys Händen. Wand sich nach rechts, weiter nach rechts, etwas war hinter ihr. Jemand. Etwas kam auf sie zu: der Schläger, das Bild war blitzkurz. Die Angst überspülte sie, stürzte sie jetzt? Aber sie lag auf einem Bett, irgendwer in ihr wußte das noch.
    Beobachtete alles: Aber es war nicht der, der weinte, sich verkrampfte, der Schläger war rasend schnell, zeitlupenlangsam. Sie hörte Jeremys Stimme, die etwas fragte. Hörte sich antworten, Ich wußte, er tötet mich jetzt, spürteRoberts Hände. Die Jeremys Anweisungen folgten, jede ihrer Bewegungen unterstützten, er hielt ihren Rücken. Führte ihren Arm nach rechts, irgendwer in ihr kommentierte. Konnte aber nicht eingreifen. Konnte nichts abbrechen, fortschieben, ein Bild flammte auf. Baumwipfel, beladen mit Schnee. Erlosch sofort wieder, ein Gewitter tobte in ihrem Kopf. Energie ballte sich zusammen, entlud sich, sie erreichte eine Grenze. Etwas fiel ihr ein –
    Rite de passage
    – Sie keuchte. Atmete dann, tief. Wurde allmählich ruhiger. Als sie die Augen aufschlug, war Robert da.
    Sie sah ihn sehr klar, wie etwas ganz Neues. Sah in seine Augen: die braun waren, mit Sprenkeln von grün, seine Lider waren ein wenig gerötet. Er lächelte. Die Härchen seiner Brauen waren leuchtend deutlich: eine Zeichnung mit spitzem Bleistift, der Schweiß auf seiner Stirn bildete einzelne perfekte Perlchen. Sie sah ihm noch einmal in die Augen, lange diesmal. Ließ dann die Lider zufallen. Hörte Jeremy etwas sagen. Hörte Robert antworten, sah seine Augen noch immer, hinter ihren geschlossenen Augenlidern. War geborgen in diesem Blick. Aufgehoben.
    Sie erwachte am Morgen. Blieb liegen, reglos. Tastete sich durch ihren Körper: schmerzfrei, sie wagte keine Bewegung. Lag weiter still. Trieb auf einer Wolke: an dem blauen Himmelszelt, ein Kinderlied, welches? Ihre Nase begann zu kribbeln. Winzige köstliche Unannehmlichkeit, wahrnehmbar in der Schmerzlosigkeit, sie rieb ihren Nasenflügel. Begriff einen Moment später, was sie getan hatte: ihrem Körper die Kontrolle über die Bewegung überlassen, die Freude schäumte. Sie schlug die Augenauf. Sah, wo sie war: hoher Raum, lichtblau, Korbsofa mit weißem Polster. Fenster, Vorhänge. Dahinter das Meer, sie wollte sich aufsetzen, ohne darüber nachzudenken. Schaffte es nicht ganz. War behutsamer gewesen, als sie sich vorgenommen hatte, jemand klopfte an ihre Tür, leise: Robert. Sie rief ihn,
    »Komm rein! Robert, komm rein«,
    Mußte dies teilen: die sprudelnde Freude, er stand in der Tür.
    Wie er jeden Morgen in der Tür gestanden hatte, ein großer Mann Mitte Vierzig, etwas zu schwer. Mit Händen, die links und rechts an ihm herunterhingen: wenn sie nicht in Hosentaschen verschwanden, Zigaretten entzündeten. Wenn sie nicht Sina stützten. Tabletts mit Teegeschirr trugen, Geschenke für sie, er sagte,
    »Wie geht es dir jetzt«,
    Lächelte. Hatte das jeden Morgen gesagt. Kam auf sie zu, wie immer, sie sagte,
    »Großartig, mir geht es großartig«, lachte, »Ich bin schmerzfrei. Ich habe keine Schmerzen mehr, Robert«,
    Zog ihn zu sich aufs Bett. Umarmte ihn, sein Arm kam dem ihren in die Quere. Ihre Hand stieß gegen seine Wange, aber sie hatte ihn doch so oft umarmt!
    Hatte sich auf ihn gestützt, wie auf eine Stuhllehne. Hatte den Arm um ihn geschlungen wie um einen Pfosten, er sagte: »Ich bin so froh. Ich freue mich so«,
    Sie roch die

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