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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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immer ein bißchen zu wenig«,
    Das Bier ist eiskalt. Die Sonne ist noch heiß, Robert sitzt am Tisch. Er zeichnet Johns Haus. Schon seit ein paar Tagen zeichnet Robert das Obergeschoß des blaugoldenen Planeten, das für Jeremy erweitert werden soll, Red und Maurice sitzen unter dem Tisch. Belecken, betasten einander, einigermaßen hingerissen, die losen Enden der Geschichte sind alle miteinander verknüpft.
    Sind ein Netz, über dem sie balancieren: Robert, Sina, Jacques und Maurice, Roberts Stift dudelt über das Papier. Ein weiterer Nachbar hat sich gestern erkundigt:Könnte Robert nicht auch sein Haus umbauen? Robert hat noch nicht zugesagt.
    Kann sich nicht festlegen, die Zukunft überblicken, Robert hat keine Arbeitsgenehmigung mehr, keine Aufenthaltsgenehmigung. Sina hat keine Aufenthaltsgenehmigung: Illegal aliens, das ist es, was sie sind, John wird das Krankenhaus in Vermont anrufen. Wird sich mit allen entsprechenden Ämtern in Verbindung setzen, in der beginnenden Dunkelheit entzündet Jacques seine Fackeln am Strand.
    Jacques the Juggler: ein Scherenschnitt vor dem roten Himmel, Robert kann es nun sehen, das richtige Leben. Denkt, daß er es vielleicht lernen wird: sicher genug zu stehen auf papierdünnem Eis, um jeden Tag wieder von vorn anzufangen mit dem richtigen Leben, selbst wenn Sina ginge. Und dann bleibt sie vielleicht.
    Maurice stand. Hielt sich an Sinas Bein fest, krähte. Streckte die Arme nach Red aus: der unter dem Tisch lag, hechelnd in der Hitze, Maurice stieß sich von Sina ab.
    Ballte die Fäuste, torkelte los. Ruderte mit runden Armen, blieb taumlig stehen. Stieß einen Triumphschrei aus, ein pumphosiger Krieger, Red erhob sich, unsicher wedelnd. Maurice ging auf ihn zu. Ging weiter, weiter, juchzend, allein.
    Robert lehnte am Geländer des Decks. Sah hinunter zum Strand: wo Jacques für Red Stöcke warf, Jeremy und Susan spielten mit Maurice. Robert rauchte. Summte etwas, Sina stützte sich auf John. Einzelne Laute drangen zu Robert herauf: ein Lachen, ein Möwenschrei. Ein Ruf, langgezogen und unverständlich. Reds Bellen, Motorengeräuschevon der Straße hinter dem Haus, im nächsten Moment konnte dies alles verschwinden.
    War aber jetzt da, in diesem Moment, Sina sah zum Haus hoch. Zu Robert: dem sie lachend winkte, er verstand nicht, was sie rief. Jacques verstand aber, winkte Robert auch. Ging dann zu Sina, legte den Arm um sie, eine große Gelassenheit überkam Robert: Alles war von Belang. Jedes Sandkorn, jeder sprühende Wassertropfen, alles war unendlich bedeutungsvoll: und zugleich von vollkommener, tief befreiender Unwichtigkeit.
    Sina ging den Seesteg am Fishermen’s Wharf entlang. Ging bis zu seinem Ende, an Roberts Hand, ließ Robert los. Ging allein zurück. Erreichte das Land ohne Roberts Hilfe, auf der Heimfahrt waren sie sehr still. Saßen später auf dem Sonnendeck, ohne einander zu berühren: Nun würden sie nach Deutschland zurückfliegen müssen.
    Nach München, in eine Wohnung voll Staub. Mit einer Kündigung im Briefkasten, Stimmen auf dem Anrufbeantworter. Zu Udo Bogner, in ein sommerheißes Büro. In die Beletage eines Gründerzeitkastens, war Natalie noch dort? Es machte keinen Unterschied: Sie mußten einander endgültig der Welt zurückerstatten,
    Dieser Mund ist mein eigener Mund. Diese Augen, die mich ansehen in der Dunkelheit, sind meine eigenen Augen. Dies sind meine Haare. Meine Haut, unter meinen Händen, mein Fleisch. Mein Atem, mein Speichel. Dieser Mund, den ich küsse, ist mein eigener Mund .
    Und Jacques? Was würde aus Jacques werden? Aus dem kleinen Ganoven: der an der Brüstung lehnte, zu Boden sah. Der seine Hände knetete, bis die Fingergelenke knackten,
    »Tja, Leute. Na dann. War schön mit euch, echt. Aber hey, ich denke, allmählich müssen wir weiter, ich und Maurice«,
    Das Kind hatte sich auf Sinas Schoß zusammengerollt, abendmüde. Sina hielt es fest. Starrte über seinen Kopf weg hinaus aufs Meer, sah niemanden an, Robert wußte genau, was jetzt passierte. Hier trennte sich die Spreu vom Weizen, er sagte: »Unsinn.«
    Genoß den Moment fast: das Gefühl der Kompetenz, er wußte, was er zu tun hatte. Ließ sich von seiner Entscheidung tragen, er sagte: »Wo willst du denn hin, Jacques? Bleib doch bei uns. Ich habe es mir genau überlegt, am besten, du bleibst bei uns«,
    Jacques starrte ihn an. Sagte: »Wie meinst du das. Soll ich etwa mitkommen«,
    Robert nickte. »Klar. Am besten, du kommst mit nach Europa«,
    Hoffte dann doch

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