Meer ohne Strand
die Haut über der Narbe dünn war wie feuchtes rotes Seidenpapier, sie sagte,
»Was ist denn das, Jacques.«
Jacques lachte auf. Schüttelte den Kopf,
»Ich habe mir die Pfoten verbrannt. In Key West, auf dem Dock, ich wollte am Dock jonglieren wie immer. Ich wollte weitermachen wie immer, und was ist passiert? An meinen eigenen Fackeln habe ich mir den Arm verbrannt. Ich, Jacques the Juggler! Ich konnte nicht einfach weitermachen wie vorher. Ich konnte einpacken. Ich bin an den Strand gefahren. Genau an die Stelle, wo wir damals gewesen sind, Sina, weißt du noch, ich habe mich in den Sand gesetzt. Es war nachts, wie damals. Nur war ich allein. Ich war ganz allein, auch ohne Maurice. Ich konnte ihn ja nicht mitnehmen, ohne dich. Was hätte ich denn mit ihm tun sollen, wenn ich jongliere, im Auto penne, vorher war ich immer allein. Mein ganzes Leben lang, weißt du das noch, Sina? Wie wir uns getroffen haben, du hast ausgesehen, als wolltest du jeden Moment ins Wasser springen. Ich habe dich angesprochen. Du warst kratzbürstig, aber ich habe es dir nicht übelgenommen, wir haben irgend etwas geredet. Dann sind wir durch die Stadt gelaufen, das weißt du doch noch, erinnerst du dich daran, wie wir Salsa getanzt haben? Wie du für mich gesammelt hast, vor der Kneipe. Mit deinem Schuh«,
Nun weinten sie beide. Hielten einander an den Händen wie bei einem altmodischen Tanz, Jacques sagte,
»Weißt du noch, wie es uns manchmal vor dem Ende gegraust hat? Wie wir manchmal Angst hatten vor dem Moment, wenn wir vor Henrys Haus stehen mit unserem Gepäck und dem Kind und ohne die geringste Idee, wie wir weitermachen sollen, aber vielleicht war es auch garnicht so. Vielleicht hatte immer nur ich Angst. Davor, daß du abhauen und nach Deutschland zurückfliegen würdest«,
Sie flüsterte: »Ich wäre bestimmt nicht zurückgeflogen. Ich glaube nicht, daß ich einfach so abgehauen wäre«,
Die Sonne stand tief. Über dem Meer lag der lange Abend, Robert lehnte an der Brüstung, mit verschränkten Armen, sehnte er sich nun danach, die Zeit zurückstellen zu können? Nicht in den Fast-food-Imbiß gegangen zu sein, sein Rasierzeug zurückgelassen: sie niemals kennengelernt zu haben, er sagte,
»Und jetzt? Was werdet ihr jetzt tun, geht ihr zur Polizei? Die Kerle haben doch das Wohnmobil mitgenommen. Es dürfte kaum ein Problem sein, sie zu schnappen«,
Jacques sah nicht auf. Sagte: »Mann, Robert. Du glaubst doch nicht im Ernst, die sind mit dem Ding einfach zurück in die Firma gefahren. Du glaubst doch nicht, die sind da einfach reinmarschiert, Hey, Boss, da wären wir wieder, wir haben eine junge Frau erschlagen, und was ist der nächste Auftrag«, Jacques schüttelte den Kopf. Sagte: »Ich denke, sie sind rüber nach Kanada. Ich denke, sie sind rüber über die Grenze und weg, auf jeden Fall dieses Dreckschwein Freddy«,
»Woher willst du das wissen«, sagte Robert. »Was soll das überhaupt heißen, willst du etwa alles auf sich beruhen lassen?« Hörte sich sagen: »Wollt ihr, daß die Kerle womöglich völlig ungeschoren davonkommen, ihr werdet doch wenigstens die Versicherung verklagen! Ihr werdet doch wenigstens auf Zahlung von Schmerzensgeld bestehen«,
Hörte mit einmal Emanuel Ullrich: Hey, Robert! Sina könnte sich doch was damit verdienen, mit ihrer Story. Dann hat sie wenigstens nicht umsonst gelitten, Jacques ließ Sina los. Sagte,
»Du hast ja recht, Robert. Es stimmt, Sina sollte was bekommen, für ihre Schmerzen«,
Wandte sich ab. Vergrub das Gesicht in den Händen, sagte,
»Ich bin so feige. Ich bin so scheißfeige, ich schäme mich, echt, weißt du, was passiert, wenn wir von denen Geld wollen, Sina? Die drehen mir mein Leben auf links. Die schnüffeln in allem herum, bevor die irgend etwas bezahlen. Und was dann passiert, das kann ich mir vorstellen«,
Heulte: »Ich habe das doch nicht gewußt! Ich habe nicht gewußt, daß ich so feige bin, ich habe immer gedacht, ich bin mutig. Weil ich ausflippen kann. Weil ich einfach zuschlagen kann, wenn ich ausflippe, denk bloß nicht, ich wäre nicht zu Billy gefahren! Ich wollte ihn an die Wand nageln mit meinen Messern. Er hat das auch gewußt. Er hat nur so geschlottert vor Angst, als er mich gesehen hat, ich habe ihm erst mal eine geknallt. Dann noch eine und noch eine, aber er hat nicht mal zurückgeschlagen. Geheult und gezetert hat er, dieser Riesenkerl, am Schluß habe ich einfach alles aus seiner Bude rausgetragen. Alles, was in den Chevy
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