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Meer ohne Strand

Meer ohne Strand

Titel: Meer ohne Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Friedrich
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Gabriels Haus, wieviel Zeit hatte er dafür gebraucht? Zehn Minuten vielleicht. Dann war er weitergefahren. Hatte unterwegs in irgendeiner Hamburger-Bude etwas gegessen. Hatte warten müssen: weil das Pärchen vor ihm sich nicht entscheiden konnte zwischen drei Sorten identischer Buletten, er hatte erwogen, wieder zu gehen.
    Hätte auch hungrig weiterfahren können. Hätte dann vielleicht ein Wohnmobil und ein Auto passiert: auf einer Nebenstraße, irgendwo in den Ausläufern der Appalachen, er hätte ein paar Leute auf der Straße stehen sehen. Unter ihnen zwei, die aussahen wie ein Liebespaar, er wäre weitergefahren, ahnungslos.
    Hätte möglicherweise dennoch allem eine andere Wendung gegeben. Hätte mit seiner momentelangen Anwesenheit, seiner potentiellen Zeugenschaft Freddy vielleicht davon abgebracht, Sina die Knochen zu brechen,
    Ohne den Überfall hätten wir uns niemals kennengelernt, Robert!
    Oder vielleicht hätte Robert auch angehalten. Hätte die offene Kühlerhaube gesehen, seine Hilfe angeboten. Hätte dann bemerkt, daß etwas nicht stimmte: die barfüßige Frau im Schnee, der blutige Junge, vielleicht hätte ersie vor dem Baseballschläger gerettet oder wäre seinerseits mit zerschmetterten Knochen im Schnee gelandet, und dann? Er wäre vielleicht gestorben.
    Oder er wäre zurückgekehrt: zu Natalie, Julia. Hätte wohl nichts Besonderes gefunden an einer leicht verwahrlosten Sina Fischer, zufällig auch aus München und seit Wochen unterwegs mit einem kleinen Ganoven und einem quäkenden Säugling. Mit denen sie anschließend weitergefahren wäre,
    Ohne den Überfall hätten wir uns niemals kennengelernt, Robert!
    Und was, wenn er nun die ganze Geschichte noch einmal hätte neu schreiben können? Würde er dann auf den Hamburger verzichtet, sein Rasierzeug zurückgelassen haben? Ihr all ihre Qualen erspart: und sie dafür niemals kennengelernt haben, Jacques sagte,
    »Könnte ich wohl etwas zu trinken bekommen?«
    Sie füllte das Glas des Kindes für ihn. Reichte es ihm, er trank. Stellte das Glas sehr vorsichtig zurück, sagte,
    »Ich bin dann losgegangen. Zu Henry. Immer am Waldrand entlang bin ich gegangen, irgendwann kam mir der Rettungswagen entgegen. Ich bin zwischen die Bäume gesprungen. Ich habe gewartet, bis der Rettungswagen wieder zurückkam, sie fuhren sehr schnell und mit Blaulicht, also warst du noch am Leben. Ich bin weiter, Maurice war sehr schwer. Manchmal habe ich gedacht, wir schaffen es nicht, aber wir haben es geschafft, ich bin dann ein paar Tage bei Henry geblieben. Wegen der Zeitung. Jeden Tag stand in der Zeitung, wie es dir ging. Aber da stand auch, daß sie nach einem Jungen mit gebrochener Nase und einem Baby suchten. Was sollte ich denn tun? Sag du mir das, Sina. Sag mir, was ich hättetun sollen, irgendwann stand in der Zeitung, du würdest überleben. Und daß es vielleicht Monate dauern würde, bis du wieder gesund wärst, Henry hat mich dann mit dem Auto bis North Carolina gebracht. Hat mir Geld gegeben, hat mich zum Arzt geschickt wegen der Nase, dann habe ich den Greyhound genommen. Zurück auf die Keys. Zu meiner Tante. Ich habe meine Tante im Krankenhaus anrufen lassen, damit sie fragt, wie es dir geht, sie wollten sofort wissen, wer sie ist. Haben gesagt, sie müßte sich bei der Polizei melden, wenn sie dich kennt, es ginge um die Aufklärung einer Straftat. Da hat sie schleunigst wieder aufgehängt«,
    Sie starrten zu Boden. Starrten beide auf dieselbe Stelle der Planken, Jacques sagte,
    »Ich habe dann gewartet. Darauf, daß es dir besser geht. Daß sie dich aus dem Krankenhaus entlassen, ich bin nach Miami gefahren. Dann wieder auf die Keys, zu Maurice, ich habe Henry angerufen. Er wußte aber nicht, wo du warst. Ob du überhaupt noch im Krankenhaus warst, es stand nichts mehr in der Zeitung über dich. Ich habe auch in deiner Wohnung angerufen, Sina. In München, ich habe immer wieder angerufen, aber da lief nur der Anrufbeantworter. Mit deiner Stimme drauf, auf deutsch, ich habe sogar ein paar Sachen verstanden, die du gesagt hast. Du hast gesagt, du wärst in Amerika, es war nicht zum Aushalten. Du hattest das auf das Band gesprochen, bevor du losgefahren bist. Bevor du mich getroffen hast. Als du noch heil warst«,
    Sina streckte die Hand aus. Ergriff eine seiner Hände, die schlaff zwischen seinen Knien baumelten, er sah nicht auf. Drückte aber ihre Hand, fest. Wischte sich mit der Faust die Augen, ohne ihre Hand loszulassen, sie sah aufseinen Arm. Wo

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