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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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diskutieren, was für ein Monstrum ich sein könnte. Und diese verdammten Bücher helfen mir auch nicht weiter. Legenden, Mythen, Sagen. Von jeder mehrere Versionen. Ich brauche einen Ratgeber. Etwas wie
Kiemen – und was nun?

    „Hast du etwa welche? An deinem Hals ist nichts, aber logischer wären Atmungsorgane in Höhe deiner Lungen.“
    „Nein.“ Unwillkürlich tastete er über seine Rippen. „Keine Kiemen. Bisher jedenfalls nicht.“
    „Also sind wir genauso weit wie vorher.“ Plötzlich verfiel Jeanne in hilfloses Gekicher. „Hoffentlich ist es deine untere Hälfte, die sich in einen Fisch verwandelt. Und nicht die obere. Darauf kommt es doch an. Auf die richtige Hälfte.“
    „Hör auf damit.“
    „Mir fällt da noch was ein. Eine andere Legende besagt, dass eine Meerjungfrau keine Seele besitzt. Erst wenn sie ein Kind von einem Menschenmann empfängt, erhält sie eine. Gleichzeitig verliert sie im Gegenzug ihre Unsterblichkeit. Ich frage mich, ob das sinngemäß auch für Männchen gilt. Ich meine, für männliche Meerjungfrauen.“
    „Das mit der Schwangerschaft wohl nicht.“
    „Es sei denn, du trägst Seepferdchen-Gene in dir. Hast du eine Bauchtasche an dir entdeckt? Dann könntest du nämlich schwanger werden.“
    „Jeanne! Das ist nicht witzig.“
    „Nein“, bestätigte sie.
    „Seelenlos fühle ich mich im Übrigen nicht. Es gibt keinen Menschen und kein Tier ohne Seele. Sogar Steine sind beseelt. Ich habe es gespürt, als ich im Meer war. Das Gefühl, dass alles voller Leben ist und das Wasser voller Erinnerung, als hätte es Jahrmillionen in sich gespeichert. Es war, als wäre ich eins mit allem. Ein Teil einer gigantischen, vernetzten Einheit. Verdammt, wie höre ich mich eigentlich an? Jeanne, bring mir eine Kutte, ich werde Guru.“ Sein Körper überzog sich mit Gänsehaut. Wie sie hier saßen und über was sie redeten. Es war verrückt.
    „Fühlst du dich unsterblich?“, fragte Jeanne.
    „Nichts kann unsterblich sein. Das wäre gegen die Natur.“
    „In der Schule habe ich gehört, Seegurken seien praktisch unsterblich, sofern sie nicht gefressen werden. Und ein Tiefseeschwamm in der Antarktis ist zehntausend Jahre alt.“
    „Ich fühle mich weder gurken- noch schwammähnlich. Was mich mehr beunruhigt ist die Tatsache, dass das Fleisch und das Blut eines Meerwesens magische Wirkungen entfalten sollen. Früher glaubte man, dass beides Unsterblichkeit verleiht, wenn man es zu sich nimmt.“
    „Dann pass auf dich auf.“ Dieser Gedanke schien ihr ganz und gar nicht zu gefallen. „Wenn Esoterikfrauen Wind von dir bekommen, werden sie dich vernaschen wollen.“
    Er rollte mit den Augen. „Ich glaube nicht, dass ich jemanden rufen werde, wenn mir demnächst in der Wanne ein Fischschwanz wächst.“
    „In Splash trocknete die Meerjungfrau ihren Schwanz mit einem Föhn.“ Wie ein kleines Mädchen kaute sie auf ihren Fingernägeln herum. „So gelangte sie wieder an ihre Beine. Soll ich mal ein Glas Wasser holen? Vielleicht holt Wasser deine Flosse hervor.“
    Er schnaufte. „Glaubst du wirklich daran?“
    „Keine Ahnung. Die eine Hälfte ist an das Wasser angepasst, die andere nicht. Wo liegt da der Sinn? Die Natur denkt praktisch, weshalb ich nicht glaube, dass sie zweigeteilte Wesen erschafft.“
    „Praktisch?“ Er musste lachen. „Was ist mit dem Pfau und dem Pelikanaal? Was mit diesen bunten Korallenfischen? Hastdu schon mal einen Pyjama-Kardinalbarsch gesehen? Die Evolution ist verspielt bis über beide Ohren. Und sie produziert regelmäßig Murks.“
    „Siehst du dich als Murks?“
    „Natürlich nicht.“
    „Und was ist mit deinen Beinen? Fühlen sie sich seltsam an?“
    „Vorhin im Wasser taten sie weh. Und dann der Juckreiz in den vergangenen Wochen … vielleicht mutiere ich doch zu einem Fisch. Zu einem Ichtyoiden, wissenschaftlich ausgedrückt.“
    Jeannes Kehle entkam ein klägliches Seufzen. „Als Wissenschaftler musst du doch verzweifeln, oder?“
    „Tue ich“, bestätigte Christopher. „Im Grunde sitze ich in einer dunklen Ecke und weine meinem Weltbild nach.“
    Sie verschränkte die Hände im Schoß und starrte ins Leere. Er tat es ihr gleich und wälzte tausend Gedanken, bis sie vom Geräusch der Klingel aufgeschreckt wurden.
    „Wer ist das denn? Freitag Abend um diese Zeit?“ Ärgerlich stand Jeanne auf und verschwand.
    Christopher lehnte den Kopf gegen das Polster und startete einen Versuch, sich zu entspannen. Es war zum Scheitern

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