Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
Vom Netzwerk:
… ich muss kurz allein sein.“
    Als er weiterkratzte, durchfuhr ihn ein heißkalter Schock. Seine Fingernägel rissen ganze Streifen Haut ab, doch es war ihm unmöglich, aufzuhören. Er kratzte weiter, bis sich ganze Stücke seines Fleisches ablösten und darunter etwas Anderes zum Vorschein kam. Etwas Glattes, Schimmerndes.
    „Verdammt!“ Ihm blieb keine Zeit, in Panik zu verfallen. Der Juckreiz überflutete seinen Körper mit sengendem Feuer. An den Armen, an der Brust, selbst im Gesicht. Sein Verstand setzte aus. Er rieb und kratzte über seine Haut, überall schmerzte und juckte es so heftig, dass es schier unerträglich war. Und doch wusste er, dass er es aushalten musste. Er musste seine alte Haut abstreifen und sein Blut in den Abguss fließen sehen, zusammen mit seinem alten Leben und seiner Menschlichkeit.

    Neun Stunden, zwei Keksschachteln, drei Joghurts und sechs Tassen Kaffee später hatte Maya es vollendet. Die Erleichterung war grenzenlos. Sie jagte den Plan durch den Drucker, heftete ihn auf eine blaue Lasche und sank erlöst zurück. Geschafft. Endlich. Nach ein paar Minuten des Innehaltens ließ sie das Institut in Windeseile hinter sich. Ein arbeitsfreies Wochenende empfing sie mit offenen Armen, und ein solches hatte sie zuletzt vor zwei Monaten genießen dürfen.
    Als sie den Hafen passierte, bot sich ein friedvolles Bild. Ebbe war eingekehrt. In der trüben Abenddämmerung schimmerten die Gezeitentümpel wie Pfützen aus geschmolzenem Blei. Felsen und Muschelbänke lagen frei, bildeten eine feucht glänzende Mondlandschaft, in der Seevögel nach leichter Beute suchten. Maya sehnte sich nach einem Spaziergang am menschenleeren Strand, nach Ruhe und dem ziellosen Fließenlassen ihrer Gedanken. Vor allem aber wollte sie Christopher wiedersehen. Er hatte ihre Neugier entfacht und sich wie ein Virus in ihre Gedanken eingeschlichen. Ein verführerischer Virus, keine Frage. Möglicherweise war es eine dumme Idee, ihn aufzusuchen. Es war nicht ihre Art, unangekündigt in die Privatsphäre fremder Menschen einzudringen, doch sie wollte mehr über diesen geheimnisvollen Gast in ihrem Leben erfahren. Nein, sie musste mehr erfahren. Gut möglich, dass er sie einfach wieder fortschickte oder schlichtweg nicht zu Hause war, aber einen Versuch war es wert.
    In der Wohnung angekommen, fütterte sie ihre Katzen Pollux und Castor, schlüpfte in durchgescheuerte Jeans, einen braunen Rollkragenpullover und in ihre uralte, dunkelbraune Wildlederjacke, die sie innig liebte. Zuletzt stopfte sie die Paua-Kette unter das Unterhemd, damit sie sie beim Strandgut sammeln nicht verlor, und huschte nach draußen. Endlich frei! Enthusiastisch stieg sie in ihren schwarzen Jeep und lächelte über die Worte
Putz mich
!, die irgendwer auf die Motorhaube gemalt hatte. Was wussten die Leute schon? Jeeps mussten schmutzig sein. Dafür waren sie geschaffen.
    Froh darüber, die Helligkeit der Stadt hinter sich zu lassen, bog sie in die Küstenstraße ein und legte eine Kassette mit Trommelmusik ein, weil ihr plötzlich der Sinn nach archaischer Untermalung stand. Infolgedessen führte sie hinter dem Steuer eine Art Kriegstanz auf, lachte über sich und jagte in die Nacht hinaus. Von der Hoffnung getrieben, den mysteriösesten Mann ihres Lebens vielleicht ein wenig näher kennenzulernen.

    Ihm stockte der Atem, denn was er sah, konnte nicht sein. Zitternd wie Espenlaub stieg er aus der Dusche, rutschte in seiner Hast auf dem nassen Boden aus und verlor das Gleichgewicht. Instinktiv griff er nach dem Handtuchhalter, doch der hielt nicht stand und wurde mitgerissen. Unsanft landete Christopher der Länge nach auf den Fliesen.
    „Verdammt!“ Seine Finger, die eines der Handtücher umklammert hielten, veränderten sich vor seinen Augen, verbunden mit einem schmerzhaft ziehenden Gefühl. Sie wurden länger und endeten in etwas, das wie scharfe Krallen aussah. Er sprang auf und hastete zum Spiegel. Nein! Das konnte nicht sein. Was ihm dort entgegenblickte, war nicht mehr er selbst.
    Seine Haut nahm einen silbrigen Schimmer an, reflektierte das Licht der Lampe auf gespenstische Weise und wurde noch glatter, als sie es ohnehin schon war. Ein stechendes Kribbeln erfüllte seinen Körper. Über Wangen und Schläfen zogen sich schmale, zart schimmernde Streifen gleich der Musterung auf dem Rücken einer Makrele. Weitere Male fanden sich an seinem Hals und an den Unterarmen. Auch auf der Haut seiner Brust erschienen diese Streifen, mal

Weitere Kostenlose Bücher