Meeresblau
Ein idiotischer Teil in ihr versuchte dennoch, sich mitzuteilen. „W-w-was …“
„Still“, befahl Christopher.
Er trug sie zur Hütte und stieß mit einem Fuß die Tür auf. Sie sah noch den Hund in das Dunkel schlüpfen, dann zog sich erneut Schwärze über ihr Bewusstsein.
Als Maya erwachte, fand sie sich auf einer muffig riechenden Pritsche wieder, und zwar nackt. Zusammengekrümmt lag sie auf der Seite, vergraben unter staubigen Decken, und zitterte sich die Seele aus dem Leib. Keine drei Schritte entfernt legte Christopher soeben zwei Scheite in ein Feuer. Narrte sie ihre Wahrnehmung, oder war auch er nackt? Ja, sie musste träumen, denn dieser Mann und sein Hund, der wie eine Sphinx neben ihm hockte, boten ein Bild, das nur eine Wahnvorstellung sein konnte.
Ihre Kleider hingen über dem einzigen Sessel im Raum. Ein weiterer Kälteschauder schüttelte sie. Es half nichts, die miefenden Decken enger um sich zu ziehen und sich einzukugeln. Nichts vertrieb diese Kälte. Sie fiel wieder in eine Art Halbschlaf, der nicht tief genug war, um die Qual auszuschalten, wohl aber einen Schleier darüber legte und sie erträglicher machte.
Nach einer Weile legte sich jemand hinter sie. Zunächst fühlte sich der Körper, der sich an den ihren schmiegte, kühl an. Doch schnell kam Wärme. Sie sickerte in ihre starren Glieder, wohltuend, doch viel zu langsam. Instinktiv wölbte sie ihren Rücken, um näher an der wärmenden Quelle zu sein, doch es fühlte sich an, als gäbe man einem Verhungernden nur ein Bruchstück der rettenden Nahrung. Jetzt, wo ihre Muskeln langsam auftauten, begann es überall zu kribbeln. Glühende Nadeln marterten ihr Fleisch, brennende Ameisen krochen durch ihre Adern.
„Denke nicht daran“, hörte sie Christopher sagen. „Versuch, nicht an den Schmerz zu denken. Gleich wird es besser.“
Er lag hinter ihr und spendete Wärme durch seinen Körper und seine Stimme. Sie war wie ein Streicheln. Sanft und tröstend.
„Sprich weiter“, bat sie ihn.
„Warum hast du das getan? Wolltest du mich retten? Obwohl du wusstest, dass du sterben könntest?“
Sie brachte ein Nicken zustande. Alles in ihr schrie danach, ihn anzusehen, doch als sie den Kopf wandte und versuchte, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen, drückte seine Hand sie behutsam zurück. Die Frage, die seit dem belauschten Gespräch in der Hütte in ihrem Kopf brannte, lag auf den Lippen.
„Was bist du?“
Sein Arm schlang sich um ihren Körper und zog sie näher an sich heran. „Versuch zu schlafen“, antwortete er.
Die Intimität dieses Moments durchdrang selbst Kälte und Schmerz. Seine Wärme, der Trost der Umarmung, untermalt von der weltfremden Stimmung der vom Feuerschein erhellten Fischerhütte und dem Rauschen der Wellen, ließ sie beinahe vergessen, wie knapp sie dem Tod entronnen war. An Christophers Körper geschmiegt wurde sie wunderbar müde.
Mit allen Sinnen wollte sie seine Nähe aufnehmen, doch die Anstrengung des Tages forderte allzu schnell ihren Tribut. Flüsternd stellte sie noch einmal die Frage, auf die er ihr keine Antwort gegeben hatte und driftete in den Schlaf.
Die Realität hatte sich nicht verändert. Christopher schlief neben ihr. Er lag auf dem Rücken und hatte den Kopf zur Wand gedreht. Noch immer befanden sie sich in der Fischerhütte, noch immer heulte der Wind und rauschte die Brandung. Lediglich Kälte und Schmerz waren nur noch ein Echo in ihrem Körper. Eine Weile lag sie still da, dachte über Legenden und Wirklichkeit nach, über die Grenzen dazwischen und das Auflösen derselben.
Dankbarkeit erfüllte sie und etwas, das sie nicht zuordnen konnte. Das Gefühl von tief empfundener Nähe und dem Drang, diese Verbundenheit zu zeigen, war beinahe überwältigend. Christopher schien von unruhigen Träumen geplagt. Sein Atem ging schwer, seine Augen bewegten sich unter den Lidern. Vorsichtig zog Maya ihre Hand unter der Decke hervor und berührte mit den Spitzen ihres Zeige- und Mittelfingers seine Wange.
„Was bist du?“, flüsterte sie erneut und begriff, dass die Antwort noch weit jenseits ihrer widerwillig ausgeweiteten, wissenschaftskonformen Grenzen lag. „Sag es mir. Du kannst mir vertrauen. Ich muss es einfach wissen. Nur damit ich weiß, dass ich nicht verrückt bin.“ Kindliches Staunen erfüllte sie, als ihre Finger die feuchten Locken aus seiner Stirn strichen. „Du hast mein Leben gerettet. White Elk würde sagen, dass ich damit für den Rest meines Daseins mit
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