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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Wahl. Ihr Handy lag im Auto, und ehe es ihr gelingen würde, Hilfe zu holen, würden Christopher und die Frau längst tot sein.
    Tief einatmend schaltete sie jegliche Gedanken aus und rannte ins Meer. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin undausgebildet darin, Menschen in Not zu retten, aber dieses Wasser war wie flüssiges Eis. Es raubte ihr augenblicklich den Atem. Kälte schloss sich um ihren Körper und schnürte ihn gnadenlos zu. An Atmen war nicht zu denken. Doch sie musste die beiden finden. Maya tat einige Schwimmzüge, tauchte unter und öffnete die Augen.
    Nichts. Nur sprudelnde, eisige Dunkelheit. Kein Körper.
    Die Kälte war gnadenlos. Das hier brachte nichts, sie musste zurück. Sie rang nach Luft, durchstieß sie die Wasseroberfläche und wollte einatmen, doch eine erstickende Last drückte ihren Brustkorb zusammen. Tausende Nadeln aus Schmerz stachen in ihr Fleisch. Wellen warfen sie umher, hoben sie hoch und ließen sie wieder fallen. Salzwasser schwappte in ihren Mund, Muskeln verkrampften sich und ließen einen Schmerz auflodern, der alles bisher Gefühlte in den Schatten stellte. Sie zwang sich, weiterzuschwimmen, doch das Ufer schien plötzlich viel zu weit entfernt zu sein. Verdammt, sie wollte nicht sterben. Doch das schwarze Wasser kannte keine Gnade und saugte die Kraft aus ihrem Körper. Eine Strömung erfasste sie und trug sie hinaus. Weg vom Land. In den Tod.

    Kaum umschloss ihn das Wasser, verblassten Christophers Gedanken an das Land. Die Kraft des Soges spülte alle Ängste, alle Zweifel fort, denn diese andere Welt berauschte ihn wie eine Droge. Er spürte den Hunger des Meeres und seine wütende Gier. Die Ungeduld einer großen Macht, die es gewöhnt war, sich zu nehmen, wonach es sie verlangte.
    Wieder trug ihn die Strömung hinaus, bis in der indigofarbenen Dunkelheit der Wald aus Tang auftauchte. In diesem Küstenabschnitt gab es kein Riff. Nur vereinzelte, von Anemonen und Seenelken bewachsene Felsen. Tang trieb umher, abgerissen vom stürmischen Seegang. Fischschwärme suchten im Dickicht der Pflanzen Schutz. Die zornige See erfüllte ihn mit Entzücken. Er lieferte sich dem Spiel des aufgewühlten Wassers aus. Nur kurz hatte er das Gefühl, als drückte die Atemnot seinen Brustkorb zusammen, dann strömte der Sauerstoff durch seinen Körper und machte die Funktion der Lungen überflüssig.
    Wieder war das Meer von zahllosen Geräuschen erfüllt. Es summte, rauschte und dröhnte in seinen Ohren. Er hörte Klicklaute, das Sonar in weiter Ferne vorbeiziehender Wale und den Flossenschlag der Fische. Er hörte die Brandung, den wogenden Tang und den Sturm.
    „Dein Zuhause“, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, gefolgt von dem Gefühl zweier Arme, die sich um ihn schlangen. Schnell zog ihm die Frau die restliche Kleidung aus. Er genoss es, denn der Stoff auf seiner Haut war störend, überflüssig und lächerlich. Kein Bedauern erfüllte ihn, als er sah, wie die Sachen hinabsanken. Ein Sinnbild für die Welt, die er zurückließ.
    Er klammerte sich an den letzten Rest Wut, blickte in das Gesicht der Fremden, doch schon spürte er, wie das Wasser seine menschlichen Gefühle fortschwemmte. Sie hatte es geschafft. Er war hier. Dort, wo sie ihn haben wollte. Weil sich plötzlich jeder Atemzug an Land wie flüssige Lava angefühlt hatte und jeder Schritt auf der Erde wie ein Tanz auf Klingen. Das Wesen zog ihn tiefer, bis seine Füße den weichen Sand berührten. Weit über ihnen spielte das Mondlicht auf der sturmgepeitschten Oberfläche des Wassers.
    Dass dort oben jemand nach ihm rief, streifte seine Gedanken nur flüchtig.
    „Komm“, flüsterte die Frau in seinem Kopf. „Komm mit mir.“
    Sie entwand sich ihm und tauchte mit der Anmut eines Fisches im Tangdickicht unter. Das helle, liebliche Echo ihres Lachens erklang, lockte mit Freiheit und Abenteuer. Hier war kein Riff zwischen ihm und der offenen See. Kein Hindernis. Er musste nur den Wald hinter sich lassen.
    „Komm mit mir“, drängte die Stimme in seinem Kopf. „Komm. Ich bringe dich nach Hause.“
    Als die Frau zwischen den wogenden Stängeln auftauchte, hatte sich etwas an ihr verändert. Es war nur ein kurzes, irisierend helles Aufschimmern, wie der Widerschein von etwas Glänzendem, das kurz in der Tiefe auftaucht und wieder verschwindet. Zu schnell verbarg sie sich wieder im Wald, als dass er die Veränderungen deutlicher hätte wahrnehmen können, die zweifelsohne auch ihm widerfahren würden.
    „Nimm es

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