Meeresblau
dir verbunden bin. Wie in diesen alten Blutsbrüder-Geschichten.“
Seinen Körper durchlief ein Zucken. Schlagartig öffnete er die Augen und fuhr hoch, so abrupt, dass sie fast von der Pritsche geworfen wurde. Im letzten Moment fing sie sich, packte ihn bei den Schultern und stieß ihn zurück.
„Hey! Alles in Ordnung. Du hast nur geträumt.“
„Nein.“ Christophers Augen starrten zu ihr auf, wahnhaft und glimmend. „Kein Traum. Sie rufen mich. Sie hören nicht auf.“
„Wer ruft dich?“ Sie packte seine Handgelenke, als er erneut begann, sich mit der Mattigkeit eines gerade Erwachten gegen ihren Griff zu wehren. Mit aller Kraft drückte sie ihn in das Kissen. Die Tatsache, dass nur eine Decke ihre nackten Körper voneinander trennte, klammerte sie mehr schlecht als recht aus.
„Was meinst du? Wer ruft dich?“
Sein Blick schien etwas zu fixieren, das außerhalb ihrer Vorstellungskraft lag, glitt auf beklemmende Weise durch sie hindurch und gab ihr das Gefühl, nicht wirklich zu sein. „Es tut mir leid“, brachte er endlich hervor. Mit einem Ruck riss er sich los und schob sie von sich hinunter. „Tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe. Ich verstehe es selbst kaum, wie muss es dann dir gehen?“
Maya starrte in das fluoreszierende Blau seiner Augen, als er sich über sie beugte. Sein schwerer Atem streifte ihre Lippen. Sie fühlte sich wie hypnotisiert, als taumelte sie über einem Abgrund. „Ich pack das schon“, hörte sie sich murmeln. „Mach dir keinen Kopf.“ Fast hätte sie gelacht. Oh ja, sie war eine Meisterin im Selbstbelügen.
„Ich weiß nicht, wohin ich gehöre“, sagte er und ließ sich wieder auf den Rücken fallen. Mit beiden Händen fuhr er sich durchs Haar. „Ich weiß gar nichts. Ich kann nicht hier bleiben, aber ich kann auch nicht gehen. Was tut man, wenn es keine richtige Entscheidung gibt?“
Ihr Instinkt wusste, welche Bedeutung in seinen Worten lag. Doch ihr Verstand weigerte sich beharrlich, diese Theorie in Tatsache umzuwandeln.
„Es wird immer schlimmer“, fuhr Christopher fort und klang, als spräche er zu sich selbst. „Es fühlt sich an, als würde ich in zwei Hälften zerrissen werden. Mit einer Hälfte bin ich in dieser Welt, mit einer in der anderen. Wie kann ich jemals ganz sein? Eine Hälfte wird mir immer fehlen, egal wie ich mich entscheide.“
Ihr Körper reagierte losgelöst von ihrem Verstand, richtete sich auf und schob sich über ihn. Sie musste nur diese dünne Decke fortschieben, um ihn ganz zu spüren. Nie hatte sie sich jemandem näher gefühlt. Niemandem hatte sie je so blind vertraut wie diesem Mann, der ihr Weltbild ins Wanken brachte und so unwiderstehlich war. Sie wollte ihm nahe sein. Sie wollte ihm bedeuten, was sie empfand. Nichts anderes würde Erleichterung bringen. Ihre Finger gruben sich in sein Haar. Sie beugte sich tiefer und tiefer, bis sie die Berührung seiner Lippen spürte.
„Nein.“ Er packte ihre Schultern. Seine Gegenwehr geschah so matt, dass Maya den eigentlichen Willen hinter dieser Reaktion spürte. Er wollte ihr nahe sein, so wie sie ihm nahe sein wollte. Aber vor etwas hatte er Angst. „Was, wenn sie recht hat?“, sagte er. „Was, wenn ich deine Seele nehme? Vielleicht passiert es durch einen Kuss.“
Sanft umfasste sie seine Hände und drückte sie beiseite. „Nichts wird passieren. Glaub mir, ich weiß es.“ Eigentlich wusste sie nichts, aber das war gleichgültig. Sie wusste nicht, was er war oder was er tun konnte, sie wusste nur, dass sie ihn brauchte. Dass sie ihn wollte. Und als sich ihre Lippen endlich auf die seinen legten, war alles, was sie spürte, eine unendliche Wohltat. Hungrig konzentrierte sie sich auf jede Nuance dieses Moments. Auf die Wärme seiner Haut, den Geschmack seiner Lippen, den Duft seines Atems. Die trägen Bewegungen, mit denen er ihren Kuss erwiderte. Seine Finger, die über ihren Rücken strichen. Hier und jetzt beschränkte sich ihrer beider Welt auf diese Hütte. Auf die vom Feuer beschienene Dunkelheit und das Rauschen der Elemente, die einen Gleichklang mit ihrem inneren Aufruhr fanden.
„Lass uns ans andere Ende der Welt reisen“, hauchte sie auf seine Lippen. „Solange man reist, holen einen die Dämonen nicht ein.“
In seinem Blick lagen Staunen und Zuneigung, vermischt mit dem bitteren Geschmack von Verzweiflung. „Ich werde esimmer hören, Maya. Weil es in mir ist. Sie hat recht, ich kann nichts dagegen tun. Ich belüge mich nur selbst. Da
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