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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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an.“ Ihr Raunen wurde fordernder. „Hier und jetzt …“
    Er sah er an sich hinab. Silbrige Flecken entstanden auf seinen Beinen und breiteten sich aus. Kleine Erhebungen wuchsen auf seiner Hüfte und wurden zu glänzenden Schuppen. Es war, als zerrissen die Fasern seines Fleisches und fügten sich neu zusammen. Der Preis für wahre Freiheit.
    „Nimm es an …“
    „Nein!“ Das Eis des Vergessens wurde dünner und zeigte ihm blasse Erinnerungen. Jeannes Stimme. Mayas Gesicht. Ihr Lächeln, als er oben auf den Klippen kurz davor gewesen war, sie zu küssen. Das Funkeln ihrer kohlschwarzen Onyxaugen. „Ich kann nicht.“
    Er wehrte sich gegen die Strömung. Das Meer wurde ungeduldiger. Hungriger. Er musste nur loslassen, und es würde ihn weit hinaustragen, Meile um Meile. Aber wenn er jetzt losließe, würde er wieder zurückkehren können? Oder nur noch für verschwindend kurze Zeit einen Blick auf das werfen, was er verloren hatte?
    „Nimm es endlich an!“
    „Ich kann nicht!“ Er schrie es im Geiste wütend hinaus, und dieser Ruf, obwohl unhörbar, schien im gesamten Ozean widerzuhallen. „Ich gehe zurück.“
    „Nein!“ Die Fremde tauchte vor ihm zwischen den Tangstängeln auf. Zorn ließ ihre Augen aufleuchten wie hellblaues Eis. Die untere Hälfte ihres Körpers war zu dem Leib eines Fisches geworden, kraftvoll, geschmeidig und überirdisch schön. Gemacht wie aus Silber und Seide. Eine Flosse auf ihrem Rücken stellte sich auf, bestückt mit scharfen Stacheln. „Vergiss dasLand. Es ist ein Gefängnis. Es ist gefährlich. Wenn du jetzt gehst, kann ich dich nicht beschützen.“
    Der Geruch nach Panik breitete sich im Wasser aus. Jemand war dabei, zu ertrinken. Christopher hörte das Gurgeln menschlicher Lungen und blubbernde Schreie unter Wasser. Er erkannte diese Stimme, obwohl sie hier unten verzerrt klang. Maya war im Wasser, doch ihr Körper konnte nicht so atmen, wie es der seine tat. Warum ging sie in eine Welt, die sie tötete? Etwa, um ihn zu retten? In dem Irrglauben, er wäre ein Mensch?
    „Vergiss sie.“
    Der fächerförmige Fischschwanz der Meerjungfrau peitschte wütend das Wasser. Und doch wagte sie sich nicht näher an ihn heran. Er schmeckte ihre Angst metallisch auf seiner Zunge. Sie hatte Angst vor ihm?
    „Vergiss die Welt dort oben. Sie will uns nichts Gutes. Sie ist nicht dein Zuhause. Sieh dich an, du gehörst nicht zu ihnen.“
    Christopher wandte sich dem Strand zu und tat einen kräftigen Schwimmzug. Das Brennen in seinem Körper verebbte, die Schuppen verschmolzen wieder mit seiner Haut. Eine neue Form von Kraft durchströmte ihn und gab ihm das Gefühl, allem und jedem die Stirn bieten zu können. Selbst der uralten Macht der See. Doch jetzt, da er sich vom Anblick des offenen Meeres losgerissen hatte, erfüllte ihn eine unvorstellbare Qual. Eine im Innersten aufbrechende Verzweiflung, die ihn in der Mitte entzweireißen wollte. An der Oberfläche schlugen die Wellen noch höher auf, verkörperten donnernd und brüllend die Wut des Meeres.
    „Es wird dich bekommen“, rief die Stimme in seinem Kopf, als er auf Mayas im Wasser treibenden Körper zuschwamm. „Die See ist in deinem Blut und in deinem Geist. Du selbst bist die See.“

    Gnädigerweise verlor sie das Bewusstsein, gerade als sie glaubte, es keine Sekunde länger ertragen zu können. Die sich verkrampfenden Muskeln am ganzen Körper, die Atemnot, die Kälte. Und vor allem die Gewissheit, zu sterben. Fast lag in der Schwärze, die Maya übermannte, ein Hauch jener Schönheit, die sie in ihrem Traum verspürt hatte.
    Das Nächste, das sie wahrnahm, war gottserbärmliche Kälte und ein lautes Würgegeräusch. Gepaart mit dem Gefühl, als würde sich ihr Innerstes nach außen krempeln. Sie benötigte ein paar Momente, bevor ihr klar wurde, dass dieses Geräusch ihrer Kehle entfloh. Zähneklappernd lag sie im Sand wie eine auf den Rücken gedrehte Schildkröte und hustete sich die Seele aus dem Leib.
    Es war ihr unmöglich abzumessen, wie viel Zeit vergangen war, als die Übelkeit endlich versiegte. Jeder Muskel ihres Körpers war verkrampft vor Kälte und hart wie Stein. Am Rande ihres Bewusstseins nahm sie wahr, dass Christopher sie hochhob. Alles war gleichgültig. Alles, bis auf diese Kälte.
    „Was hast du dir dabei gedacht?“, drang seine warme Stimme an ihr Ohr. „Wolltest du mich retten?“
    Ihre Stimmbänder waren eingefroren. Die Zähne klapperten derart, dass sie glaubte, sie müssten zerspringen.

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