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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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Abstammungslinie zu erhalten …
    Er betrachtete sie alle einen Augenblick lang: zwei Menschen, eine Selkie, die ihr Fell verloren hatte, und einen Wächter, der gerade erst zu seiner Macht gekommen war. Atargatis’ Erben. Der Schlüssel zu jener Prophezeiung.
    Der Knoten in seiner Brust zog sich noch fester zusammen.
    »Ich lasse euch allein, damit ihr euch besprechen könnt«, fuhr er fort.
    Caleb nickte kurz.
    Aber in der Tür blieb Conn noch einmal stehen. »Ihr solltet eure Schwester fragen, was sie will.«
    »Lucy?«, warf Regina ein.
    »Sie ist keine Selkie«, sagte Dylan.
    »Auch sie ist eine Blutsverwandte«, mahnte Conn. »Sie hat ein Recht darauf, ihre Wahl zu treffen.«
    »Lucy würde die Insel niemals verlassen«, bemerkte Caleb. »Fast wäre sie deshalb nicht aufs College gegangen. Sie ist hier glücklich.«
    Conn hob die Augenbrauen. »Ist sie das?«
    »Ist sie das nicht?«, ließ sich Margred hören.
    »Fragt sie«, schlug Conn vor.
    Er griff nach dem Türknauf, als etwas – ein Geräusch, ein Geruch, ein Gefühl wie Atemhauch in seinem Nacken – seinen Blick nach oben lenkte.
    Lucy stand fast unsichtbar dort, wo die Treppe in den ersten Stock führte, die Hand an den Mund gepresst. Im Halbdunkel loderten ihre Augen.
    Sein Herz machte einen Satz.
    Ihre Blicke bohrten sich ineinander.
    Sie blinzelte, und es war, als wäre das Feuer in ihren Augen nie gewesen.
    Conn schluckte ein enttäuschtes Knurren herunter. »Ihr erreicht mich im Inn«, teilte er den anderen mit. »Wenn ihr bereit seid, zu reden.«
    Dann öffnete er die Tür und ging in die Nacht hinaus.
     
    Lucy rammte den Spaten in die Erde.
Keiner liebt mich, alle hassen mich, sie denken, dass ich die Brocken, die sie mir hinwerfen, einfach schlucken werde …
    Was Blödsinn war. Sie wusste, dass ihre Familie sie liebte. Sie liebte sie auch. Doch die dumme Platte spielte in ihrem Kopf wieder und wieder, wie ein schlechter Song im Radio, und dazu lief der Film von gestern Abend.
    Die Hunters waren noch nie gut darin gewesen, ihre Gefühle mitzuteilen. Jedes Kind, das im Haus eines Alkoholikers aufwuchs, lernte, seine Geheimnisse zu schützen. Lucy hatte einen Großteil ihres Lebens damit verbracht, Fragen von Freunden, Lehrern und wohlmeinenden Nachbarn aus dem Weg zu gehen.
Wo ist deine Mutter? Wie geht’s deinem Vater? Warum bist du auf die Insel zurückgekommen?
    Aber nun drohten die Dinge, die ihre Familie nicht aussprechen wollte, sie alle auseinanderzureißen. Und die Menschen, die Antworten hatten und die Lucy liebte, machten den Mund nicht auf.
    Jedenfalls nicht ihr gegenüber.
    Sie riss eine Kartoffel aus. Die dicke Knolle verspritzte eine Fontäne aus Dreck, die an ihrem Schmerz und ihrer Enttäuschung nicht das Geringste änderte.
    Sucht nach Worten,
sagte sie immer zu ihren Schülern, wenn sie der Drang, zu schreien, treten oder beißen, zu überwältigen drohte. Nun, das hatte sie versucht, oder? Nachdem Conn das Haus verlassen hatte, war sie ins Wohnzimmer gegangen, um mit ihrer Familie zu reden. Aber all ihre Fragen, all ihre Gesprächsangebote waren angesichts ihrer Verschlossenheit, Dylans sturem Schweigen und Calebs abweisenden Beschwichtigungen einen langsamen und elenden Tod gestorben.
    Sie rieb die Kartoffel an ihrer Jeans, was einen langen Streifen Schmutz auf dem Stoff hinterließ.
    Calebs Verhalten verletzte sie am meisten. Ihr Bruder hatte sie aufgezogen, seitdem sie in den Windeln steckte, bis er zur Army ging, als sie neun wurde. Während ihrer gesamten Schulzeit war Cal immer noch für sie da gewesen, in den Ferien und zu Schulversammlungen nach Hause gekommen und hatte ihr Schecks zum Geburtstag geschickt. Sie vertraute ihm fast alles an.
    Er vertraute ihr nicht. Dieser Stachel tat weh.
    Nun, wenn Cal sie nicht wie eine Erwachsene behandeln konnte, dann kannte sie jemanden, der es tun würde.
    Sie spähte zum Rande des Ackers hinüber. Vorausgesetzt, dass er kam.
    Sie glaubte – sie hoffte –, dass er kommen würde. Warum sonst hätte er diese kryptische Ansage machen sollen?
»Ihr erreicht mich im Inn, wenn ihr bereit seid, zu reden.«
    Sie wischte die verschwitzten Hände an der Jeans ab, verschmierte sie damit jedoch nur noch mehr. Bereit zu reden? Vielleicht. Auf jeden Fall bereit zuzuhören. Alles war besser, als durch diese schreckliche Unwissenheit in ihrer Familie isoliert zu sein.
    Sie sah zu, wie er aus dem Schatten des Waldes trat, als wäre er ein Surfer, der unter einer Welle auftauchte. Er war kein

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