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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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Blick zu begegnen, trimmte er die Fock. »Du bist die Tochter von Atargatis. Du dienst der Prophezeiung. Wie auch ich es tun muss.«
    »Wie soll ich ihr dienen? Ich kann doch gar nichts tun.«
    »Dein eigenes Verhalten beweist etwas anderes.«
    »Was – weil ich die Kabine zertrümmert habe? Das muss eine Art geistige Umnachtung gewesen sein. Ein Fehler. Wie der Sex, den wir hatten.«
    Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Sein eigenes Volk hätte nun gezittert. Dieses Mädchen suchte seinen Blick, mit unglücklichen Augen und einem resoluten Mund. Was auch immer sie war, sie war nicht feige. Und auch nicht dumm.
    »Du hast dich mir hingegeben«, erklärte er. In einfachen Worten, damit sie ihn verstand. »Nach den Gesetzen deiner Art sind wir jetzt miteinander verbunden.«
    »Wir hatten Sex. Das macht mich nicht zu deiner Hure.«
    Er hätte fast gelächelt. »Nicht?«
    Ihr Mund öffnete sich. Und klappte wieder zu.
    »Du kannst das Blut deiner Mutter nicht verleugnen«, sagte er.
    »Ich weiß nicht, warum du von mir Loyalität meiner Mutter gegenüber erwartest. Sie war nicht loyal mir gegenüber. Uns.«
    »Deine Mutter ist an ihren angestammten Platz im Meer zurückgekehrt. Es war ihre Natur. Ihr Schicksal. Wie es deines ist, ihr nachzufolgen.«
    »Ich bin nicht meine Mutter.«
    »Ganz offensichtlich nicht«, erwiderte er schneidend. »Atargatis war ein wahres Kind der See.« Ruhelos, sprühend vor Leben, den Launen des Augenblicks unterworfen und den Stürmen ihrer Stimmungen, wohl wissend um ihre Schönheit und Kraft.
    Und doch hatte er nie ihre Gesellschaft gesucht, sie nie in sein Bett geholt.
    Sie nie so gewollt, wie es ihn nach ihrer großen, blassen, starrköpfigen Tochter verlangte. Wie die Luft in seinen Lungen, wie den Puls seines Blutes …
    Conn erstarrte. Zur Hölle noch mal.
    Er wollte sie nicht. Sie war nur ein notwendiges Mittel zu einem wünschenswerten Ziel. Mit ihrer Hilfe konnte er die Blutlinie ihrer Mutter und sein Volk am Leben erhalten. Aber sie war keine der Ihren. Sie war keine Selkie.
    Der Wind fuhr an den Klippen entlang und peitschte über das Wasser.
    Er schlang die Fockschot um die Winsch. »Wir müssen beidrehen. Halte dieses Ende fest und zieh, wenn ich es dir sage.«
    Lucy streckte gehorsam die Hand aus und sank dann wieder auf die Bank. »Findest du nicht, dass das ein bisschen viel verlangt ist? Mich um Hilfe bei meiner eigenen Entführung zu bitten?«
    »Die Fock«, sagte er. »Es sei denn, du ziehst es doch vor, zu schwimmen.«
    Er sah zu, wie sie um ihre Würde rang und sich darin einwickelte wie in die schlecht sitzende gelbe Jacke, die sie trug.
    »Jetzt«, kommandierte er, als sie beidrehten.
    Die Fock stellte sich in den Wind und blähte sich. Lucy griff nach dem Tau und zurrte es fest.
    Als wäre es eine Schlinge um seinen Hals.
    Sie kurbelte die Winsch, um das Segel zu trimmen. »Sie ist also ins Meer zurückgekehrt. Und was ist dann passiert?«
    Er hatte gedacht, sie wüsste es. Ihre Brüder hatten es ihr doch sicher erzählt? »Sie ist gestorben.«
    »Du sagtest doch, Selkies wären unsterblich.«
    Conn betrachtete ihren gebeugten Kopf, und Mitleid mischte sich mit Irritation. Hatte sie gehofft, ihre Mutter noch einmal wiederzusehen? Welch dumme, menschliche Hoffnung. Selbst wenn Atargatis aus dem Schaum wiedergeboren würde, so, wie es die Art von ihresgleichen war, würde sie kaum Erinnerungen an ihre kleine Tochter zurückbehalten.
    Er korrigierte den Kurs. »Wir altern und sterben nicht wie Menschen. Aber wir können getötet werden.«
    Lucy zog den Winschgriff ab und verstaute ihn im Cockpit. Sie hatte behauptet, nicht segeln zu können, aber während sie im Haus eines Fischers aufgewachsen war, hatte sie offenkundig gelernt, wie leicht Gegenstände über Bord gehen konnten. »Und was hat meine Mutter getötet?«
    »Sie ist ertrunken. In dem Jahr, nachdem sie euch verlassen hatte, ist sie in ein Fischernetz geraten.«
    Lucy hob den Kopf. Ihre Augen sahen wie das Meer an einem wolkenverhangenen Tag aus. »Dann hat es das Schicksal nicht sonderlich gut mit ihr gemeint, oder?«
    Er hatte keine Antwort darauf.
     
    Lucys Hände griffen nach dem Tau, das um den Rand des prall aufgeblasenen Beiboots lief. Ihr Magen hob und senkte sich im sanften Schaukeltakt der Wellen. Ihre Füße krümmten sich unter dem Sitz, möglichst weit weg von dem Seehundfell, das als Bündel auf dem Boden lag. Wie eine Katze den Regen behielt sie das Wasser im Auge – und den

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