Meereskuss
Gesicht war ausdruckslos. »Er würde es so nennen.«
Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Was würde es heißen, wenn all diese Jahre, alle Entscheidungen ihres Vaters nicht von Kummer gelenkt worden wären, sondern von Schuldgefühlen?
»Und sie …« Lucys Stimme zitterte schmählich.
»Kümmerte sich um ihn, glaube ich. Eine Zeitlang.«
»Dann Caleb … und Dylan …«
»Margred hat sich entschieden, um deines Bruders willen als Mensch zu leben. So wie Dylan beschlossen hat, mit Regina zu leben.«
Aber Maggie liebte Caleb. Niemand, der sie beide zusammen sah, konnte das bezweifeln. Und Dylan lag Regina zu Füßen.
Lucys Herz schlug schneller. »Was hat all das mit dir und mir zu tun?«
Conns Gesicht wurde, wenn das möglich war, noch kälter und distanzierter. »Ich habe dir deine Freiheit geraubt. Ich habe dir die meine gegeben. Was willst du noch von mir?«
Ihr Hals tat weh.
Deine Liebe.
Aber das konnte sie natürlich nicht sagen. Er hatte ihr gegeben, was er besaß. Alles, was er ihr geben konnte. Würde das reichen? Sie wollte nicht wie das kleine Mädchen im Märchen sein, das nach dem Mond schrie.
Was wollte sie dann?
»Ich will Teil eines normalen Paars sein«, sagte sie. »Ich will eine gewöhnliche Beziehung. Jemanden zum Reden und Lachen und Gernhaben. Jemanden, der mit mir zusammen ist, weil er sich etwas aus mir macht. Nicht wegen einer Prophezeiung oder eines Seehundfells oder so.«
Er erwiderte ruhig ihren Blick mit diesen Augen, die so kühl wie Regen waren. »Ich kann nichts daran ändern, wie ich bin oder was ich getan habe. Ich würde es auch nicht, wenn ich könnte. Es gibt kein Zurück für uns.«
»Ich will ja gar nicht zurück. Ich will es nur langsamer angehen lassen.«
»Mit welchem Ziel?«
Zweifel nistete sich wie ein Splitter in ihrer Brust ein und stachelte alte Unsicherheiten auf. Sie hatte ihren Freund, mit dem sie zusammengewohnt hatte, nicht einmal dazu bewegen können, auswärts Pizza essen zu gehen. Glaubte sie ernsthaft, dass sie den 3000 Jahre alten Herrn über die See mit Romantik locken konnte?
»Uns kennenzulernen.«
»Ich kenne dich.«
Sexuell.
Ja.
Die roten Abdrücke ihrer Zähne zierten noch immer seinen Arm.
Sie errötete und sah weg. »Du kennst nur einen Teil von mir. Du weißt nicht, welches meine Lieblingsfarbe oder meine Lieblingsblume ist oder ob ich die Zahnpastatube offen lasse oder ob ich chinesisches Essen mag. Du weißt nicht, ob ich zur Kirche gehe oder auf welcher Seite des Bettes ich schlafe oder wie mein erster Freund hieß.«
»Und du glaubst, dass all das wichtig ist.«
Sie reckte das Kinn vor. »Was dahinter steht – das Vertrauen, die Nähe –, ist wichtig. Ja.«
»Sehr gut. Dann sag’s mir.«
Sie lachte überrascht auf. »Willst du eine Liste?«
»Ja.«
Es war ihm ernst. Diese Erkenntnis war zugleich vollkommen lächerlich als auch seltsam beruhigend. »Jemanden kennenzulernen funktioniert so nicht. Das braucht Zeit.«
Er legte die Hände hinter dem Rücken zusammen. »Wie viel Zeit?«
Er machte Druck auf sie, immer machte er Druck. Probeweise erwiderte sie den Druck. »Machst du dir Sorgen, dass mir zu wenige Jahre zum Kinderkriegen bleiben?«
Seine Augen glitzerten. »Nicht, solange ich sie in deinem Bett verbringen kann.«
Ihr Puls schlug Kapriolen. Verlangen huschte über ihre Haut und rauschte durch ihr Blut. Wie sollte sie ihre rasche Schlitterpartie in eine gefährliche Abhängigkeit bremsen, wenn er sie nur mit einem einzigen Blick, einem einzigen Wort erregen konnte?
»Wir müssen einen Kompromiss schließen. Ich bin bereit, dir – uns – eine Chance zu geben. Du musst mir dafür Raum geben.«
Er hob die Augenbrauen. »Dieser Raum hier reicht dir nicht?«
Haha. »Ich meinte emotionalen Raum.«
»Abgemacht. Tagsüber darfst du dir so viel Zeit und emotionalen Raum nehmen und so viel reden, wie du willst. Aber nachts teilen wir das Bett.«
Der Puls klopfte ihr bis zum Hals und zwischen den Beinen. »Das ist dein Kompromiss?«
Er verzog den Mund. »Ja.«
Sie grub die Zähne in die Unterlippe, um ein Lächeln zu unterdrücken. Sie wollte mit ihm schlafen, sie sehnte sich nach einem Körper neben ihr im Dunkeln, der die Illusion von Nähe aufrechterhielt und ihr die Träume vom Leibe hielt. Sie wollte mehr als das. Sogar jetzt, da ihr Körper noch schlüpfrig und weich von seinem Ansturm war, begehrte sie ihn auf eine Art und Weise, die sie schockierte. Die wahrscheinlich auch ihn schockieren
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