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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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sein,
um mich zu vergewissern, dass sich daheim nichts verändert
hatte.
    »Tante Grace hat mir übrigens einen Job besorgt.« Ich räusperte
mich und fuhr dann etwas lauter fort: »Davon erzähle ich
dir demnächst mehr, okay? Sie hat mich nämlich dazu verdonnert,
dich zweimal in der Woche anzurufen.«
    »Oh, tatsächlich? Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«,
fragte Mam.
    »Das solltest besser
du
mit ihr klären«, erwiderte ich. »Auf
mich hört sie leider nicht.«
    Wieder erntete ich von meiner Mutter nur Schweigen, aber
dann lachte sie plötzlich laut heraus. »Es ist zum Haareraufen!
Da bemühe ich mich seit Jahren, dir eine einigermaßen umgängliche
und nicht überbesorgte Mutter zu sein, und kaum
bist du mal länger als eine Woche weg, benehme ich mich bereits
wie die große Schwester meiner Tante.«
    »Du meinst wie deine Mutter«, sagte ich. Ein Grinsen stahl
sich auf meine Lippen. »War sie auch so?«
    »Nein, eigentlich nicht.« Mit einem Mal klang Mam ziemlich
niedergeschlagen.
    »Tut mir leid«, stammelte ich.
    »Schon gut«, sagte sie. »Ich weiß ja, dass du dich kaum an sie
erinnern kannst.«
    Eigentlich gar nicht. Meine Oma Holly war gestorben, als
ich noch keine fünf Jahre alt gewesen war. Sie hatte irgendeine
schnell verlaufende Krebserkrankung, was ich damals natürlich
noch nicht kapierte. Nur daran, dass eine Zeit lang alle
schrecklich traurig gewesen waren, erinnerte ich mich noch
vage.
    In meinem Leben hatte die Mutter meiner Mutter nie eine
bedeutende Rolle gespielt, zumal mein Opa zwei Jahre später
wieder heiratete und ich mit Oma Gundel eine prima Ersatzgroßmutter
bekam.
    Schon verrückt: Dass Mam in ihrem Leben bereits zwei
wichtige Menschen verloren hatte, wurde mir erst in diesem
Moment so richtig bewusst.
    »Du fehlst mir«, sagte ich leise, und mit einem Mal spürte
ich eine Wehmut, die mein ganzes Herz ausfüllte.
    »Du mir auch, meine Süße«, krächzte sie. »Du mir auch.«

    Nachdem meine Mutter und ich uns voneinander verabschiedet
hatten, blieb ich noch eine ganze Weile auf dem Sofa sitzen
und starrte vor mich hin. Es war ein gutes Gespräch gewesen,
wahrscheinlich das beste, das wir seit Langem miteinander geführt
hatten. Es tat mir weh, sie anzulügen beziehungsweise
ihr nicht alles erzählen zu können. Außerdem hätte ich sie
jetzt sehr gern in den Arm genommen, ihre Wärme und ihre
Lebendigkeit gespürt und eins ihrer genialen Sandwiches gefuttert.
    Plötzlich fiel mir ein, was sie über Javen Spinx’ Füße gesagt
hatte, und ich versuchte, mir zu vergegenwärtigen, ob Cyril
ebenfalls Schwimmhäute zwischen den Zehen hatte, konnte
mich jedoch beim besten Willen nicht daran erinnern. Was
Gordy betraf, war ich mir aber hundertprozentig sicher: Er
hatte sie nicht, und daher vermochte ich auch nicht genau zu
sagen, ob dies ebenfalls ein Merkmal war, durch das Hainixe
und Delfinnixe sich voneinander unterscheiden ließen.
    Gedankenverloren stand ich vom Sofa auf, trat in den Flur
und steckte das Telefon in seine Station zurück.
    »Das war aber ein langes Gespräch, oder?«, fragte Tante
Grace aus der Küche.
    »Hast du etwa gelauscht?«, fragte ich zurück.
    »Na, hör mal!« Ihr empörtes Gesicht tauchte im Türrahmen
auf. »Was denkst du denn von mir?«
    »Natürlich nur das Schlimmste«, erwiderte ich grinsend.
    Meine Großtante gab ihr berühmtes Grunzen von sich.
»Dann bin ich ja beruhigt. Und?«, wollte sie wissen. »Alles in
Ordnung daheim?«
    »Ja, alles bestens.«
    »Das ist schön.« Tante Grace sah mich erwartungsvoll an,
doch ich hatte nicht vor, ihr etwas zu erzählen. Alles, was sie
wirklich interessierte, würde sie auch auf anderem Wege in
Erfahrung bringen.
    »Ich verzieh mich dann mal nach oben«, sagte ich und deutete
auf die Treppe. »Ein bisschen mit Sina chatten.«
    »Tu das«, meinte sie. »Ich muss übrigens in einer Stunde
noch mal weg, zu einer älteren Dame, die nicht mehr gut zu
Fuß ist. Ihre Nichte heiratet und für die Feier braucht sie ein
neues Kostüm. Sie lebt allein und freut sich immer sehr, wenn
sie mal jemand besucht.« Tante Grace zuckte mit den Schultern.
»Ich glaube also nicht, dass wir uns heute noch sehen.«
    »Okay …«, entgegnete ich zögernd, denn ich hatte das Gefühl,
dass sie das, was sie mir eigentlich sagen wollte, noch gar
nicht angesprochen hatte.
    »Vergiss deinen Termin morgen nicht.« Aha, das war es also.
Hätte ich mir auch denken können!
    »Keine Sorge«, sagte ich lächelnd. »Ich komme so

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