Meeresrauschen
hat, um von etwas anderem abzulenken?«
»Ja«, sagte sie, »oder den Täter in Sicherheit zu wiegen.«
Ich schwieg, denn ich wusste schließlich sehr genau, wie
und durch wen Lauren und Bethany auf Sark umgekommen
waren, und ebenso gut wusste ich, dass die Polizei den Falschen
erwischt hatte. Irgendwann, wahrscheinlich schon bald,
würden sie dahinterkommen und den Kanal aufs Neue durchkämmen.
Spätestens dann würde auch meine Mutter realisieren
müssen, dass die Gerüchte über die
Bestie
aus dem Meer
brutale Realität waren.
Doch letztendlich war es völlig egal, was Mam jetzt oder vielleicht
später einmal darüber dachte. Mir ging es ganz allein
um Gordy und seine Sicherheit. Die Angst um ihn und die
Sorge, dass seine Besonderheit irgendwann jemandem auffallen
könnte, beherrschte mich bis in mein tiefstes Inneres. Ich
konnte nur hoffen, dass Kyan, Liam und Zak niemals hierher
zurückkehrten und in einigen Monaten Gras über die Sache
gewachsen war – und die Legenden über Nixen für immer Legenden
blieben. Ohnehin war kein Mensch in der Lage, einen
normalen Delfin von einem Delfinnix zu unterscheiden – keiner
außer mir.
Bei dieser Erkenntnis wurde mir eiskalt. Wieder einmal kam
mir Cecily Windom und ihr dunkles Orakel in den Sinn, und
voller Beklemmung wurde mir klar, dass diese Geschichte wohl
noch lange nicht ausgestanden war.
»Elodie?«, riss Mam mich ins Hier und Jetzt zurück. »Bist du
noch dran?«
»Ähm … ja … natürlich«, murmelte ich und schüttelte den
Anflug von Panik, der sich in meinem Nacken festsetzen
wollte, energisch ab.
»Ich glaube, das war kein gutes Thema eben«, bemerkte sie
ganz richtig. »Vielleicht sollten wir zum Abschluss noch über
etwas Erfreuliches reden.«
»Und was?«, fragte ich lauernd, denn ich argwöhnte bereits,
dass sie ihren Besuch auf Guernsey ankündigen wollte. Das
wäre zwar gegen die Abmachung gewesen, die wir vor Beginn
meiner Reise getroffen hatten, damals hatte jedoch niemand
wissen können, dass hier diese schrecklichen Morde passieren
würden. Meine Großtante hatte mir inzwischen schon mehrmals
nahegelegt, wieder nach Hause zu fahren, und Mam hatte
angeboten, für eine Weile nach Richmond zu kommen, um
mir seelischen Beistand zu leisten. Doch wie sich zeigen sollte,
waren meine Befürchtungen völlig umsonst.
»Über deinen neuen Freund«, sagte sie. »Wie heißt er noch
gleich?«
»Hat Tante Grace dir das etwa nicht verraten?«
»Doch, schon«, antwortete sie unbekümmert. »Allerdings
hat sie so sehr von seinem Aussehen geschwärmt …«
Tante Grace? – Ich fasste es nicht!
»Er heißt Gordian.«
»Gordian«, wiederholte Mam langsam und prüfend, so als
würde sie einen Löffel Vanillepudding auf seine Aromastoffe
hin analysieren. »Klingt irgendwie nett.«
»Er ist auch nett«, erwiderte ich schlicht.
»Hm, davon gehe ich aus. Sonst hättest du dich wohl kaum
in ihn verliebt … und deine Großtante ihn nicht spontan bei
sich im Gästehaus einquartiert«, fuhr sie nach kurzem Zögern
fort. »Sie meinte, du könntest sonst womöglich unter Entzugserscheinungen
leiden«, fügte sie schließlich lachend hinzu.
»Wie lustig«, brummte ich. Offenbar konnte man mit Erwachsenen
nicht über solche Dinge reden.
»Ich wiederhole nur, was Tante Grace gesagt hat«, versuchte
Mam, mich zu beschwichtigen.
»Im Augenblick ist Gordian auch nicht hier und es geht mir
trotzdem gut«, betonte ich.
Meine Mutter seufzte. »Okay, lassen wir das. Ich fürchte, das
ist keine Sache, über die man am Telefon sprechen sollte.«
Ich war mir sogar sicher, dass das eine Sache war, über die
Mütter und Töchter sich überhaupt nicht austauschen mussten,
selbst wenn besagter Freund kein Nix war!
»Sina solltest du aber vielleicht doch ein bisschen mehr darüber
erzählen«, empfahl Mam mir. »Sie ist schon völlig verzweifelt,
weil du dich gar nicht bei ihr meldest. Ans Handy gehst
du ja auch nicht.«
Na, vielen Dank! »Kannst du das nicht einfach mir überlassen?
«, knurrte ich.
»Entschuldigung«, sagte sie. »Natürlich kann ich das. Wenn
ich geahnt hätte, dass du neuerdings so kratzbürstig bist, hätte
ich es gar nicht erwähnt.«
»Ich hab eben eine Menge zu verarbeiten«, gab ich ein wenig
patzig zurück.
»Ich weiß, mein Schatz«, entgegnete sie sanft. »Ich weiß.«
Dann schwieg sie, und ich wusste auch nicht mehr, was ich
noch sagen sollte. Und auf einmal sehnte ich mich danach,
wenigstens für ein paar Minuten in unserer Wohnung zu
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