Meeresrauschen
jetzt,
da ich genauso war wie er, seine Wirkung verloren.
Du wirst sie fragen müssen
, sagte er.
Oder es hinnehmen
.
Irritiert sah ich ihn an. Dann schüttelte ich den Kopf.
Nein,
es einfach hinnehmen ist ganz sicher das Letzte, was ich tun werde.
Ich muss doch wissen, wer ich bin.
Gordy nickte.
Vielleicht solltest du als Erstes mit deiner Großtante
darüber reden
, schlug er vor.
Tante Grace? Wieso ausgerechnet mit ihr?
Weil sie dich kennt. Dich und deine Mutter.
Ich schüttelte den Kopf.
Elodie, überleg doch mal
, sagte Gordian.
Weshalb wohnst du hier
bei ihr? Warum bist du hergekommen?
Deinetwegen!
Dessen war ich mir inzwischen sicher, dessen
wollte ich mir einfach sicher sein. Nur so ergab das Ganze
überhaupt einen Sinn. – Zumindest einen, den ich gelten lassen
konnte und der es mir erleichterte, das Ganze zu ertragen.
Und heute habe ich mich verwandelt, weil ich dir helfen wollte.
Gordy seufzte.
Das mag vielleicht der Anlass dafür gewesen sein,
dass es heute geschehen ist,
sagte er eindringlich.
Es ist aber nicht
der Grund. Du musst etwas in dir tragen, das diese Verwandlung
möglich gemacht hat.
Ich wusste, dass er recht hatte, aber es fiel mir schwer, es zu
akzeptieren. Denn es hätte womöglich bedeutet, dass meine
Eltern mich adoptiert oder nur in Pflege genommen hatten.
Allein die Vorstellung war schon unerträglich. Nach Pas Tod
und allem, was mir in den letzten Wochen hier auf Guernsey
widerfahren war, konnte ich das nicht auch noch verkraften.
Wieder einmal drohten die Dinge über mir zusammenzuschlagen.
Ich fühlte mich diesen Veränderungen nicht gewachsen,
und so schloss ich stöhnend die Augen, doch diesmal
merkte Gordy sofort, was mit mir los war, und ließ es gar nicht
erst zu, dass ich mich in mein Innerstes zurückzog.
Er nahm mein Gesicht in seine Hände, umschloss meine
Lippen und ließ uns mit einem Flossenschlag wieder auftauchen.
Ich atmete das Wasser aus seiner Lunge, das sich allmählich
mit der Luft vermischte, und der schmerzhafte Druck in
meiner Brust blieb aus.
»Bitte, Elodie, bleib hier«, beschwor er mich, während er
mir mit den Daumen über die Wangen strich. »Du musst das
alles nicht allein tragen. Ich bin doch immer bei dir.«
Ich schloss die Augen und überließ mich seiner Berührung.
»Zumindest versuche ich es«, fuhr er stockend fort. »Ich kann
dir gar nicht sagen, wie sehr ich es bereue, dass ich so weit hinausgeschwommen
bin, aber …«
»Gordy?«, fiel ich ihm ins Wort, denn nun drängte sich mit
einem Mal ein ganz anderes Bild in den Vordergrund. Ich löste
mich aus seiner Umarmung und sah ihn forschend an. »Bevor
ich ins Wasser gesprungen bin, da habe ich dich und Cyril
gesehen. Keine Ahnung, ob ich mir das nur eingebildet habe,
aber …«
»Hast du nicht.« Gordian seufzte leise. »Ich bin tatsächlich
ein ganzes Stück in Richtung Atlantik geschwommen. Irgendwie
habe ich wohl gehofft, Idis zu treffen oder ein anderes
Mitglied meiner Familie. Aber sie kommen nicht gern in den
Kanal, weil es hier so laut und schmutzig ist.«
»Und anstatt einem von ihnen bist du Cyril begegnet?«
»Nein, nicht begegnet«, erklärte Gordian. »Ich habe ihn gefunden
… nachdem ich Zaks Signale empfangen hatte. Er versucht,
Kontakt zu anderen Allianzen aufzunehmen.«
»Wer? Zak?«
Gordy nickte. »Ich vermute allerdings, dass er das nicht von
sich aus tut, sondern in Kyans Auftrag.«
Ich runzelte die Stirn. »Tut mir leid, aber ich verstehe nicht …«
»Wahrscheinlich will er nicht erkannt werden«, sagte Gordy
abfällig. »Kyan ist schon immer ein Feigling gewesen. Er führt
seine Gruppe nicht, sondern benutzt sie für seine Zwecke.«
»Und du denkst, jetzt benutzt er Zak?«, fragte ich. »Wozu?
Und was hat das alles mit Cyril zu tun?« Plötzlich stieg eine
böse Ahnung in mir auf. »Ihr habt euch doch nicht etwa bekämpft!
«
Gordy atmete geräuschvoll aus. »Wäre das so schlimm?«
»Ja, das wäre es«, bekräftigte ich.
»Siehst du.« Er berührte flüchtig meine Wange. »Auch das
habe ich geahnt«, sagte er traurig.
»Cyril bedeutet mir nichts mehr, falls du das denkst«, beteuerte
ich. »Noch nie hat sich jemand mir gegenüber so hinterhältig
verhalten wie er. Das mit den Fotos hätte ich ihm vielleicht noch vergeben, aber dass er mich geküsst hat, nur um
dich an meinen Gefühlen zweifeln zu lassen … keine Ahnung,
ob ich ihm das jemals verzeihen kann.«
»Wäre es dir lieber gewesen, er hätte dich geküsst, weil er
dich liebt?«,
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