Meeresrauschen
…« Gordy stockte.
»… du ihn nicht gefunden hättest?«, beendete ich zögernd
seinen Satz.
»Ich glaube, schon.« Er nickte. »Er fühlte sich jedenfalls bereits
sehr kalt und leblos an.«
Ich fasste das alles nicht. Weder dass Gordys ehemalige Delfinfreunde
auf Cyril losgegangen waren noch dass ausgerechnet
er ihm zu Hilfe kommen wollte.
»Wieso bist du überhaupt zu ihm geschwommen?«, fragte
ich tonlos. »Du hättest ihn doch einfach …« Nicht, dass ich das
gewollt hätte. Und es imponierte mir auch, dass er Cyril nicht
einfach sich selbst überlassen hatte – ich verstand nur nicht,
wieso.
»Ich will keinen offenen Krieg zwischen den Delfinnixen
und den Haien«, sagte Gordian. Er hob den Blick über meinen
Kopf hinweg. »Außerdem hätte ich dir das nicht antun
können.«
Wieder zog sich mein Herz zusammen.
»Was redest du denn da?«
»Ich weiß, dass dir noch immer etwas an Cyril liegt«, sagte
Gordy. »Ich spüre es mit …«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Nein. Nein.«
»Und inzwischen weiß ich auch, warum.«
Ich starrte ihn an und kapierte nun überhaupt nichts mehr.
Gordys Blick drückte tiefe Verzweiflung aus. »Hast du wirklich
nicht gesehen, was passiert ist? Ich meine, was mit
dir
passiert
ist?«
»Doch. Natürlich. Ich habe mich verwandelt. Ich bin eine
Nixe. Eine Plonx. Ich bin jetzt wie du!«
Gordy schluckte. »Bist du nicht«, wisperte er und deutete
auf die Wasseroberfläche. »Ich sehe deinen Schatten, wie er
auf den Wellen tanzt. Du nicht?«
Allerdings, ich sah ihn. Ich hatte ihn schon bemerkt, als ich
tief unten im Meer hinter dem Felssoldaten im Riff gehockt
hatte. Er war mir so selbstverständlich vorgekommen, dass ich
keinen Gedanken daran verschwendet hatte.
»Dann eben eine Halbnixe«, erwiderte ich trotzig. »So groß
wird der Unterschied schon nicht sein!«
»Elodie …« Wieder umschloss Gordian mein Gesicht mit
seinen Händen und zwang mich, ihm direkt in die Augen zu
sehen. »Du wirst doch nicht vergessen haben, was ich dir über
Mischwesen erzählt habe.«
Das Türkisgrün seiner Iris begann zu flimmern, und ich
hatte das Gefühl, ohnmächtig zu werden. Zuerst dachte ich,
dass
er
das mit mir tat, aber dann wurde mir sehr schnell klar,
dass ich es selber war. Ich wollte der Wahrheit nicht ins Gesicht
sehen. Alles in mir wehrte sich dagegen.
»Du bist keine Plonx«, sagte Gordy sanft, »sondern ein
Mischwesen aus einem Menschen und einem …«
»Neiiin!«, schrie ich. »Nein, Gordy … bitte, sag es nicht.«
Neben uns rollten ein paar Steine ins Wasser und kurz darauf
tauchte das runde Gesicht eines kleinen Mädchens hinter
einer Klippe auf.
»Hat der Mann dir wehgetan?«, fragte sie besorgt.
»Ja, das hat er«, flüsterte Gordy, während er mich weiter
ansah. »Und es zerreißt ihm fast das Herz, aber es musste sein.«
Es ändert nichts,
hörte ich Gordy sagen.
Mir ist ganz egal, wer du
bist, ich liebe dich genauso sehr wie zuvor.
Nachdem das Mädchen verschwunden war, hatte er mich
gleich wieder unter die Oberfläche gedrückt. Wir waren bis
zum Grund hinabgetaucht, und dort hatte er mich dann gezwungen,
an mir herabzuschauen und den Unterschied zwischen
seiner und meiner Schwanzflosse zu erkennen und
damit zwischen ihm und mir.
Hast du es gewusst?,
schrie ich ihn an.
Hast du geahnt, dass ich
eine Hainixe bin?
Es brachte mich fast um, weil es die Kluft zwischen uns wieder
vergrößerte, vor allem aber, weil ich nun überhaupt keine
Vorstellung mehr davon hatte, wer ich war, woher ich stammte
und welchen Sinn das alles überhaupt hatte.
Nein,
erwiderte Gordy leise.
Ich habe so sehr gehofft, dass du …
Er wollte mir über die Wange streicheln, aber ich drehte mein
Gesicht zur Seite.
Ich fühlte mich innerlich so wund, dass ich keine Berührung
ertragen konnte, nicht einmal seine.
Wir schwimmen jetzt in die Perelle Bay zurück,
sagte Gordy. Er
umfasste meine Taille und zog mich entschlossen weiter.
Wir reden mit deiner Großtante. Wir sagen ihr alles. Und wenn ich alles
sage, dann meine ich das auch so.
Ich war wütend auf ihn, aber ich ließ mich widerstandslos
von ihm forttragen. Ohnehin hatte ich keine Wahl. Seit ein
paar Stunden war mein ganzes bisheriges Leben so weit entfernt
von mir selbst, dass ich plötzlich nicht einmal mehr
Trauer oder Schmerz verspürte.
Gordian hielt mich fest umklammert und huschte mit
schnellen geschmeidigen Bewegungen durch die felsige Unterwasserlandschaft,
stets in Bodennähe und immer wieder
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