Meeresrauschen
entgegnete Gordy finster. »Keine Sorge, das tut
er«, setzte er hinzu, bevor ich etwas erwidern konnte, und seine
Stimme klang dabei erstaunlich fest. »Cyril hat es aus Liebe zu
dir getan. Er wollte dich tatsächlich vor mir beschützen.«
»Aber das ist doch Unsinn!«
»Ist es nicht«, widersprach Gordian. »Zumindest wenn man
es aus seiner Sicht betrachtet.«
Es war mir völlig schleierhaft, wie er das meinte, und ich
konnte es kaum erwarten, das zu erfahren, aber er ließ mich
abermals nicht zu Wort kommen.
»Nachdem ich im Begriff war, ihm das Leben zu retten …«,
begann er nun.
»Wie bitte!«, fragte ich ungläubig. »Du hast
was
?«
»Freu dich nicht zu früh, denn letztendlich war nicht ich es,
sondern andere.«
»Was soll denn das schon wieder heißen?«, fragte ich ungeduldig.
»Welche anderen?«
»Hainixe«, antwortete er knapp.
Seine Informationen waren zwar bruchstückhaft, trotzdem
hatte ich auf einmal keine Mühe mehr, ihre Bedeutung zu erfassen
und mit meinen eigenen Erkenntnissen zu verknüpfen.
»Jane und ihr Junge!«, stieß ich atemlos hervor.
»Nein.« Gordy stutzte. »Es waren Männer …« Er brach ab
und schüttelte den Kopf. »Wer zum Teufel ist Jane?«
»Die Silberschmiedin, bei der meine Großtante mir diesen
Job verschafft hat.«
Auf seiner Stirn bildete sich eine tiefe Steilfalte. »Und die ist
eine Hainixe?«
»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Eigentlich bewegt sie sich
völlig normal. Das heißt, sie hinkt«, fügte ich nachdenklich
hinzu. »Sie könnte also verletzt worden sein und sich deshalb
nicht mehr so schnell und geschmeidig wie eine Nixe …«
»Was ist mit dem Jungen?«, fuhr Gordy ungeduldig dazwischen.
»Er schwimmt bei ihr im Teich«, sagte ich stockend. »Sie hat
ihn mir … quasi gezeigt.«
»Sie hält einen Hai in ihrem Teich?«, hakte er nach. »Einen
Flusshai, oder was?«
»Nein, einen Nix«, erwiderte ich eindringlich. »Ich habe den
menschlichen Oberkörper unter seiner Hülle gesehen. Es ist
ein Junge. Vielleicht sieben oder acht Jahre alt.«
Gordys Augen wurden immer größer. »Du hast ihn
gesehen?
Genau wie Idis?«
»Ja.« Ich nickte. »Genau
so
.«
»Und wie hat Jane reagiert? Hat sie es gemerkt?«
»Ich glaube, nicht. Sie war die ganze Zeit über völlig normal.«
»Gut.« Gordians Blick huschte über die dunklen, rund gewaschenen
Steine, mit denen der Strand übersät war. »Wir
müssen unbedingt leiser sprechen«, ermahnte er mich. »Da
sind Leute.«
Ich blinzelte gegen die Sonnenstrahlen, konnte aber nichts
erkennen. »Siehst du sie?«
»Nein«, sagte er, »aber ich höre sie. Und es sind auch nur
Kinder. Die sind in der Regel allerdings besonders neugierig.«
»Okay«, fuhr ich wispernd fort. »Jedenfalls hatte ich plötzlich
das Gefühl, dass dieser Job bei Jane so eine Art Falle sein
könnte, um mich von dir wegzulocken und dich ungestört
jagen zu können.«
»Nein«, hielt Gordy entschieden dagegen. »Ich glaube nicht,
dass die Haie so etwas tun würden. Sie haben mich ja nicht
einmal angegriffen, als sie mich mit Cyril sahen.«
Ich seufzte leise. »Willst du mir nicht endlich erzählen, was
mit ihm passiert ist?«
»Das versuche ich ja schon die ganze Zeit.« Er seufzte ebenfalls,
dann bedachte er mich mit einem zärtlichen Lächeln.
»Komm her«, flüsterte er, fasste nach meiner Hand und zog
mich in seine Arme. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich spüre es
mit jeder Zelle.«
Ich schmiegte meine Wange an seine Brust, fühlte seine
Wärme und hörte den beruhigenden Klang seines pochenden
Herzens – und schon ging es mir besser.
»Wenn du bei mir bist …«, begannen wir gleichzeitig, sahen
uns an und mussten lachen.
»… ist alles gut«, schloss Gordy und küsste mich sanft.
Ich küsste ihn zurück, dann legte ich meine Hände um
seinen Nacken und sah ihm fest in die Augen. »Was ist mit
Cyril?«
Gordians Miene wurde wieder ernst und seine Kiefermuskeln
traten hervor. »Ich fand ihn bewusstlos am Meeresgrund.«
Mein Herz zog sich zusammen, und ich hatte Mühe, mir
nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich diese Nachricht erschütterte.
Gordy hatte recht, Cyril war mir nicht gleichgültig,
ich wollte nur nicht, dass er ständig zwischen uns stand.
»Was ist passiert?«, presste ich hervor. Ich musste an Ruby
denken. Sie hatte sich also tatsächlich nicht grundlos um Cyril
gesorgt.
»Kyan, Zak und Liam haben ihn angegriffen und so schwer
verletzt, dass er …«
»Was?«
»Vielleicht gestorben wäre, wenn
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