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Meeresrauschen

Meeresrauschen

Titel: Meeresrauschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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mir ausgerechnet jetzt Aimee einfiel. »Es gibt
ein Mädchen, eine Freundin von Ruby. Sie sieht mir sehr ähnlich.
Vor allem von hinten.«
    Gordy zog mich in seine Arme. »Das ist völlig unmöglich.«
    »Doch«, beharrte ich. »Sie hat sogar meine Haarfarbe.«
    »Für mich bist du einmalig.« Zärtlich strich er mir über die
Wange. Sein nasses goldblondes Haar glänzte in der Sonne
und seine Haut schimmerte samtig. Er sah zum Dahinschmelzen
aus. »Bitte verzeih mir«, sagte er leise.
    »Was?«, hauchte ich erschrocken.
    »Deine Großtante … Sie steht bereits in der Tür und könnte
jeden Augenblick dort oben im Garten auftauchen.«
    Gordian tastete nach meiner Hand und ich wandte den
Blick zum Cottage hinauf.
    Zwischen einer violett blühenden Kamelie und einem knorrigen
Birnbaum, mitten im strahlenden Sonnenschein, stand
Tante Grace und starrte zu uns herunter.
    Mein Herz polterte los. Instinktiv drückte ich mich dicht an
Gordy.
    »Sieh mich an«, flüsterte er.
    Ganz kurz nur trafen sich unsere Blicke, ich nahm das Blitzen
in seinen Pupillen fast gar nicht wahr, aber es reichte aus,
um mich vollkommen zu entspannen. Ich spürte einen leichten
Schwindel, mein Herzschlag normalisierte sich, und die
Aussicht, in weniger als einer Minute vor meiner Großtante
zu stehen und ihr alles erklären zu müssen, machte mich nicht
im Geringsten nervös.
    Und so stiegen wir Hand in Hand die Terrassen hinauf.
Mein Schatten folgte mir bei jeder Bewegung, Gordy dagegen
schien geradezu über den Boden zu schweben.
    Einige Schritte vor Tante Grace blieben wir stehen. Uns
noch immer an den Händen haltend, sahen wir sie an.
    Sie musterte uns ohne jede Regung. Es war unmöglich zu
erkennen, ob sie sich freute, erleichtert, überrascht oder eher
wütend war.
    »Ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt, vielleicht doch
die Wasserschutzpolizei zu verständigen«, sagte sie schließlich.
    Noch immer zeigte sich keinerlei Gefühlsregung in ihrem
Gesicht, und plötzlich hatte ich nicht mehr den geringsten
Zweifel daran, dass sie sehr genau wusste, was mit mir passiert
war. Wahrscheinlich hatte sie sogar die ganze Zeit darauf gewartet.
    »Als ich neulich dieses hohe Fieber hatte«, begann ich stockend,
»… und im Delirium lag … da hast du auch bloß drüber
nachgedacht,
mich ins Krankenhaus zu bringen, stimmt’s?
Und Cyrils Verletzung … selbst da hast du es nicht für nötig
befunden, einen Arzt hinzuzuziehen, oder?« Ich atmete einmal
tief durch, bevor ich es aussprach: »Du hast gewusst, dass
seine schlimme Wunde in kürzester Zeit ganz von allein heilen
würde. Und du hast gewusst, dass Cyril ein Nix ist. Ein Hainix.«
    Tante Grace nickte kaum merklich, dann richtete sie ihren
Blick auf Gordy. »Wir sollten im Haus weiterreden. Bevor Sie
noch jemand sieht.«

Als wir kurz darauf angezogen in der gemütlichen Wohnstube
saßen, Gordy und ich dicht aneinandergedrängt auf dem Sofa
und Tante Grace in einem der großen Sessel, kam das Herzklopfen
zurück.
    Zum ersten Mal seitdem ich hier war, hatte meine Großtante
die Haustür verriegelt. Ich glaube, selbst nachts hatte sie
nicht immer abgeschlossen, und bei den wenigen Straftaten,
die es hier auf den Kanalinseln gab, war das offensichtlich
auch nicht nötig. Jetzt allerdings schien sie genauso viel Angst
um mich zu haben wie ich um Gordy.
    »Wer sind meine Eltern?«, fragte ich, nachdem wir eine Weile
schweigend dagesessen hatten. Offenbar wollte Tante Grace
nicht den Anfang machen.
    Jetzt huschte ein Lächeln über ihr Gesicht.
    »Elodie, deine Eltern sind deine Eltern«, sagte sie. »Daran
hat sich nichts geändert.«
    »Das meine ich nicht.« Unwillig schüttelte ich den Kopf.
    »Ich weiß, was du meinst«, erwiderte sie. »Es ändert trotzdem
nichts.
Deine Eltern sind deine Eltern.«
    »Ja … aber …?«
    »Deine Großmutter, meine Schwester Holly …«
    Ungläubig starrte ich sie an. »War eine Nixe?«
    Wieder lächelte Tante Grace. »Nein. Aber sie war das Kind
eines Nixes.«
    Gordy und ich tauschten einen Blick.
    »Aber wieso …?«, stammelte ich.
    Meine Großtante bedeutete mir durch eine kleine unwillige
Geste, dass ich mich gedulden solle. Sie erhob sich, nahm
drei Gläser aus dem Vitrinenschrank und eine Karaffe, die mit
einer grünen Flüssigkeit gefüllt war, von der Anrichte. »Waldmeistersirup
«, sagte sie und sah Gordy fragend an. »Trinken
Sie so etwas?«
    »Nein, eigentlich nicht.« Er zuckte entschuldigend mit den
Schultern.
    »Vielleicht möchten Sie einmal

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