Meeresrauschen
unseren Verstand gebrauchen.«
Seine Worte trafen mich hart, fast fühlte ich mich persönlich
von ihnen beleidigt. Ich hütete mich jedoch, mir das anmerken
zu lassen oder gar zu widersprechen.
»Im selben Augenblick, als dieser Delfinnix beschloss, Lauren
zu besitzen, war sie seiner Magie bereits erlegen«, fuhr
Javen Spinx unterdessen fort. »Das arme Mädchen konnte gar
nicht anders, als sich ihm hinzugeben. Mehr noch: Sie hat ihn
geradezu angefleht, sich mit ihr zu vereinigen.«
Ich stutzte. »Heißt das, ihr habt sie dabei beobachtet?«
Jane nickte. »Einer von uns.«
»Cyril!« – Ich sah es gewissermaßen vor mir.
Wieder nickte sie. »Ja, Cyril. Es war aber eher zufällig.«
»Weil er als Einziger auf Sark lebt?«
»Sozusagen«, bestätigte Javen Spinx. »Er hat einen Unterschlupf
in der Nähe des Hafens. Hainixe brauchen nicht viel«,
fügte er fast schon entschuldigend hinzu.
»Aber Cyril hat doch nicht etwa gesehen, dass Kyan Lauren
getötet hat!«, rief ich aus.
Javen Spinx sog scharf Luft ein und um seine Mundwinkel
zuckte es. »Das hätte der Delfin wohl kaum überlebt.«
Ich keuchte leise, denn ich konnte mir nur zu gut vorstellen,
was passierte, wenn bei Cyril die Sicherungen durchbrannten.
Beinahe körperlich spürte ich die eiskalte Wut in seiner Brust
und die Explosion, die sie in seinem Kopf auslöste.
Javen Spinx musterte mich neugierig. Mir war klar, dass
er jeden einzelnen meiner Gedanken las, er schien also nach
etwas anderem, weniger Offenkundigerem zu suchen.
»Ihr seid euch sehr ähnlich«, sagte er mit einer Wärme, die
Jane genauso zu überraschen schien wie mich. Sie sagte allerdings
nichts, sondern schüttelte nur kaum merklich den Kopf.
»Cyril ist ein sehr ungewöhnlicher Nix«, nahm Javen Spinx
den Faden wieder auf. »Niemand von uns liebt die Menschen
so sehr wie er. Cyril würde sein Leben für sie geben. Für jeden
einzelnen von ihnen.«
Ich starrte ihn an, versank fast in dem hellen Grün, in dem
seine Iris nun schillerte, und fühlte mich dem drückenden
Schmerz, der in meiner Kehle heranwuchs und sich allmählich
bis unter meinen Gaumen ausbreitete, hilflos ausgeliefert.
»Cyril verfügt über eine immense impulsive Kraft. Doch so
absurd es vielleicht klingen mag: Er hat sie selten unüberlegt
eingesetzt und ganz sicher niemals aus Eigennutz.«
Javen Spinx’ Worte schnitten mir wie Messerstiche ins Herz.
Der Schmerz in meinem Hals pulsierte bis zu meinen Schläfen
hinauf, und meine Hände zitterten so sehr, dass ich die Haihaut
kaum noch zusammenhalten konnte.
»Ihr … wollt … mir … Gordy … ausreden«, brachte ich stockend
hervor.
»Nein«, sagte Jane sanft. »Nein.«
Sie strich mir über die Arme und rückte meine Haut ein
wenig zurecht.
»Wir möchten lediglich, dass du deinen Verstand gebrauchst.«
Javen Spinx bohrte seinen Blick geradezu in meinen. »Und um
das tun zu können, ist es wichtig, dass du alle Informationen
bekommst. Nur dann kannst du eine Entscheidung treffen,
die möglichst allen dient.«
»Du willst doch nur, dass ich kooperiere!«, fuhr ich ihn an.
»Du hasst die Delfine. Das konnte man ja sogar in der Zeitung
lesen!«
Javen Spinx senkte die Lider.
»Ich hasse sie nicht«, sagte er leise, dann räusperte er sich.
»Ich halte es nur für besser, wenn sie nicht an Land kommen.
Und zwar für alle: die Menschen, die Haie und die Delfine.
Das Problem ist, dass die Menschen die Meere wie einen gigantischen
Mülleimer benutzen. Wir Haie haben das über
die letzten Jahrzehnte hinweg mit ansehen müssen. Und du
kannst mir glauben, Elodie, ich bin nicht der Einzige, der sich
dafür stark macht, dass hier ein Umdenken einsetzt. Leider ist
es nicht immer einfach, alte Strukturen aufzubrechen. Auf der
einen Seite stehen machtvolle wirtschaftliche Interessen und
auf der anderen Massen von Menschen, die die Augen verschließen
und sich dem ungebremsten Konsum von Dingen
hingeben, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Die Folge sind
Unmengen von giftigem Abfall, der den ganzen Planeten zu
verseuchen droht. Die Meeresbewohner, Delfinnixe eingeschlossen,
haben keine Stimme. Sie werden von niemandem
gehört. Genau das könnte sich nun allerdings ändern«, fügte
er finster hinzu.
»Aber das ist doch gut«, wandte ich ein.
»Nein, das ist es nicht, Elodie«, sagte Jane dicht an meinem
Ohr. Sie war ein wenig näher an mich herangerückt. Ihre
Hände ruhten leicht und warm auf meinen Schultern. »Die
Delfine würden alles zerstören, was wir
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