Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
Vom Netzwerk:
gestritten gestern Abend. Ich bin einfach so abgehauen.»
    «Das erklärt wohl einiges», meinte Rose.
    «Das ist doch kein Problem», warf Adrian sofort ein. «Du kannst deine Freundin gleich anrufen, wenn du magst.»
    «Mag ich aber nicht.» Ondra bekam Panik. «Ich meine, danke, aber …»
    «Irgendwann werdet ihr wieder miteinander reden müssen», sagte Rose in belehrendem Ton. Als sie Ondras bockiges Gesicht sah, seufzte sie. Sie ahnte, was nun kam.
    «Tante», begann Adrian prompt.
    «Ja», sagte Rose. «Ich weiß. Das Seeblickzimmer ist noch nicht ausgeräumt.»
    Adrian strahlte. «Es wäre ja nicht für lange», sagte er.
    «Unter einer Bedingung.» Rose stand auf.
    Adrian und Ondra hoben fragend die Köpfe.
    «Du rufst Maud an.» Sie verschränkte die Arme. Als die beiden sich ebenfalls erhoben, fasste sie Ondra am Arm. «Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.» Adrian, der ihnen folgen wollte, verwies sie mit einer nachdrücklichen Geste auf das Telefon im Flur. «Hier entlang, es ist am Ende der Treppe.»
    Das Seeblickzimmer besaß einen vorgebauten Erker, von dem aus man, wie es der Name versprach, tatsächlich über die Klippen und weit aufs Meer schauen konnte. Ondra öffnete das Fenster und lehnte sich hinaus, kaum dass sie da war. Ihre Nasenflügel weiteten sich, als sie den Salzgeruch einsog. Kaum eine Stunde war sie in einer dieser engen Höhlen, die die Menschen Häuser nannten, und schon hatte sie diesen Duft vermisst. Sie kniff die Augen zusammen.
    So sah er also von oben aus, ihr geliebter Ozean, ihre Heimat, ihr Lebensquell, von dem sie jetzt nicht mehr wusste, ob er ihr Freund oder ihr Feind war. Wie jeder Mensch wusste sie nicht mehr, was unter der Oberfläche auf sie lauerte. Der Gedanke packte sie mit aller Wucht und machte sie traurig. Ondra begann zu zittern und zog sich zurück.
    «Sie lieben die See, nicht wahr?», fragte Rose, die sie beobachtet hatte.
    «Es geht», log Ondra. «Sie hat auch sehr dunkle Seiten, wissen Sie?»
    «Ja, ich weiß», erwiderte Rose.
    Ihr Ton ließ Ondra sich umwenden. Einen Moment lang schauten die beiden Frauen einander an.
    «Sie werden ihn mir nicht unglücklich machen, oder?», bat Rose. «Ach, entschuldigen Sie.» Sie wurde rot und winkte ab. «Das geht mich alles überhaupt nichts an.»
    «Das ist wahr», sagte Ondra ernst und nickte.
    Rose stutzte. «Sie halten nicht viel von höflichen Lügen, nicht wahr?»
    «Ich halte nicht viel von Lügen überhaupt.» Ondra hielt inne. Es war die Wahrheit: Bisher hatte sie sich stets gewundert über diese menschliche Eigenheit zu lügen. Es war doch so durchschaubar und vergeblich. Wozu lügen, wenn ohnehin jeder wusste, was man dachte? Der Einzige, der es virtuos verstand, einen auf falsche Fährten bezüglich seiner Ansichten zu führen, war Nox gewesen. Nox war gefährlich. War Rose gefährlich? Sie schaute die alte Frau an. Ich weiß nicht, was sie denkt, durchfuhr es Ondra. Sie könnte mich anlügen. Und ich, ich lüge sie ja an mit jedem Wort! Der Gedanke war ebenso neu wie schockierend.
    «Dann wollen wir das so halten», sagte Rose.
    Ondra brachte nicht mehr als ein Lächeln zustande.
    «Das hier», fuhr Rose fort und wandte ihr den Rücken zu, «ist der Kleiderschrank. Es sind ein paar alte Sachen von mir drin, aus der Zeit, als ich ein junges Mädchen war.» Sie drehte sich wieder zu Ondra und musterte sie. «Vielleicht ist ja etwas dabei, was Ihnen passt, falls Sie sich umziehen möchten.»
    «Danke.»
    «Das Bad ist den Flur hinauf, die letzte Tür links.»
    «Danke, ich …»
    «Ich weiß, Sie schwimmen nicht gern.»
    Der Ton sagte Ondra, dass sie einen Fehler gemacht hatte, und sie errötete heiß. «Es war nicht böse gemeint», sagte sie leise.
    Jetzt bekamen auch Roses Wangen einen Hauch von Rot. «Schon gut», murmelte sie. «Ich lasse Sie jetzt allein.»
    Als sie alleine war, schaute Ondra sich um. Meine Güte, wie sollte sie das bloß durchhalten. Sie hatte doch keine Ahnung, was sie da tat. Jedes Wort war ein Wagnis, jeder Satz ein Sprung über den Abgrund, jede Bewegung vielleicht ein gefährlicher Fehler. Unwillkürlich gähnte sie. Sie war unglaublich müde. Sie war so müde, als wäre sie zu den Fidschis geschwommen. Es war wahrhaftig anstrengend, ein Mensch zu sein. Ondra schaute sich nach einer gemütlichen Sandbank um, auf der sie sich hätte ausstrecken können. Aber der Fußboden bot nichts als blankes Holz.
    «Miau», machte der Kater, der mit ihnen hereingeschlüpft war. Er hüpfte aufs

Weitere Kostenlose Bücher