Meerestochter
Nutte ab, die Polizei stellt Fragen, und du hängst mit Pete und ein paar Touristen herum? Na, wenn das kein Grund ist.»
Ned, am anderen Ende der Leitung, wandte sich von der kleinen Gruppe ab, mit der er zu der verwitterten Betonplattform hinuntergestiegen war: Petes Lieblingsplatz. In den Löchern im Boden hatten einst die Beine eines Maschinengewehrgestells gesteckt. Von hier aus hatte man einen guten Überblick über die Bucht. Von dem Bootshaus, unten am Meer, standen heute nur noch die Grundmauern. Von dort aus sollten damals kleine Begleitschiffe die Landung der Alliierten in der Normandie unterstützt haben. Der bescheidene Beitrag Broxtons zur großen Tragödie des 20. Jahrhunderts. Vermutlich hatten die Broxtoner während der Landung Butterbrote verteilt, dachte Ned. Wäre er dabei gewesen, hätte er sich ein Zubrot verdient, indem er Gurken und Kresse dazu anbot.
«Nun reg dich nicht auf», sagte er und machte Pete ein beruhigendes Zeichen, der in seinem einstudierten Monolog ins Stocken kam. «Was, du meinst, sie halten Adrian für den Mörder?» Er zuckte selber zusammen bei dem Wort, wandte sich rasch zu den Touristen um, einer Familie aus dem Londoner Osten, und lächelte sein charmantestes Lächeln. «Das ist doch Blödsinn», sagte er deutlich leiser.
«Wem sagst du das», erwiderte Maud, die weiter in ihren neuen Schätzen wühlte. Eine Obstschale aus Messing, ein Set Katzen-Statuetten aus einem fast schwarzen Holz, und das, waren das Tischsets? «Aber es macht mir Sorgen. Wir brauchen ihn.» Sie wühlte tiefer und bekam etwas Rasselndes zu fassen. Als sie daran zog, hatte sie eine Schnur in der Hand. Sie gehörte zu einem Vorhang aus Glasperlen, die kalt in ihrer Hand lagen, als sie sie schließlich ans Licht gezerrt hatte. Maud starrte sie an.
«Mach dir mal keine Sorgen, Baby.» Ned nahm das Telefon in die andere Hand und drehte sich gegen den Wind, der merklich auffrischte. «Das kriegen wir schon alles hin. Baby? Baby!», sagte er wieder lauter, als Maud nicht antwortete. Sie wickelte die Schnur um ihre Hand, die im hereinfallenden Sonnenlicht glänzte.
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22. Kapitel
Kopfschüttelnd stand Adrian vor der Badezimmertür. «Wie lange will sie da noch drinbleiben?», fragte er seine Tante, als sie im Flur an ihm vorbeiging. Drinnen hörte man es rauschen. Offenbar füllte Ondra heißes Wasser nach.
«Sie ist eine Frau», sagte Rose nur.
Adrian fand, das sei kein Grund, zwei Stunden in der Wanne zu verbringen. «Eben, sie ist eine Frau und kein Fisch.»
Rose schnupperte. «Fische benutzen kein Lavendel-Badeöl», stellte sie fest und zuckte mit den Schultern. «Vielleicht hatte sie in ihrer WG nur eine Dusche.»
Adrian beschloss, an die Tür zu klopfen. «Wollten wir nicht einen Spaziergang machen?», fragte er.
Ondra schloss die Augen vor Vergnügen und schmiegte sich tiefer in den Schaum. Dass es so etwas Herrliches gab! Gut, es war nicht der weite Ozean, aber es war so wunderbar warm. Und wie man an den glatten Wänden herumrutschen konnte. Sie gönnte sich das Vergnügen und wälzte sich noch einmal um und um. Beinahe war ihr, als hätte sie ihren Fischschwanz noch. Es dauerte eine Weile, bis sie den knisternden Schaum aus den Ohren hatte und Adrians Stimme hörte. Adrian!
Sie war wahrhaftig die glücklichste Meerjungfrau auf Erden. Ondra warf eine Schaumwolke in die Luft, ließ sie auf ihr Gesicht fallen und zerpustete sie wie Gischt.
Gut, sie konnte ihn nicht mehr so wahrnehmen wie zuvor, seinen Geist nicht mehr durchdringen bis in den letzten Winkel oder ihn gar mehr lenken, dennoch war zwischen ihm und ihr alles lebendig, vibrierend und wach. Sie hatte recht behalten: Es gab ein Band zwischen ihnen, egal ob Beine oder Flosse, eine Verbundenheit, die spürbar vorhanden war und sie einander nahebrachte. Es war mit Worten nicht zu beschreiben, mit Sinnen nicht zu erfassen. Aber sie wusste, er fühlte dasselbe, und das tiefe Vergnügen daran teilten sie unausgesprochen. Sie hatten einander noch nicht oft berührt, hier ein Kuss, da ein Streicheln. Es war jedes Mal wie die Begegnung mit einem Zitteraal, nur schöner. Überraschend, heftig, zärtlich. Manchmal genügte nur ein Blick, und es geschah dasselbe. Er sagte nichts, sie sagte nichts, oder jedenfalls nichts allzu Dummes. Es genügte, dass sie zusammen waren. Und Ondra schwelgte in der Aussicht, dass es immer so sein würde. Wenn da nur dieses Kribbeln nicht wäre, diese Woge in ihrem Bauch, die sie nach
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