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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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Maud gewesen, die ihn sprechen wollte. Notfalls, hatte sie angedroht, würde sie vorbeikommen. Er holte tief Luft. «Wie wäre es mit einem Ausflug?», fragte er.
    Ondra hob alarmiert den Kopf. Fliegen? Das klang schwierig.
    «Wir könnten den Höhenweg zum Friedhof gehen und dann hinunter zum Bootshaus.»
    «Zum Bootshaus?», fragte Rose. Sie wollte nach seiner Hand greifen, aber er entzog sie ihr.
    «Ich möchte mir selber ein Bild machen», sagte Adrian. «Endlich.»
    Rose senkte den Kopf.
    Ondra schaute zwischen den beiden hin und her. «Gibt es da ein Geheimnis?», fragte sie. «Ist das so etwas wie der Marianengraben?»
    Adrian lachte unfroh. «So könnte man es ausdrücken ja. Die tiefste Stelle unserer gemeinsamen Vergangenheit, nicht wahr, Tante?»
    «Adrian, es tut mir leid.»
    «Dass du mich angelogen und mir mein Erbe vorenthalten hast? Geschenkt. Ich verstehe es ja. Aber dass du mir nicht vertraut hast, das nehme ich dir übel.»
    Rose stach mit der Gabel in einen Brocken Auflauf.
    «Was ist in eurem Marianengraben?», fragte Ondra.
    «Was ist in deinem?», gab Adrian zurück, der noch nicht bereit war zuzugeben, dass es ihm Herzklopfen bereitete, den letzten Ort zu betreten, an dem seine Eltern noch gelebt hatten.
    Ondra blinzelte. Es war nicht ihr Marianengraben, es war der aller Meermenschen. Und jeder einzelne wusste, dass nichts darin war, absolut gar nichts. Abgesehen von ein paar sehr ungeselligen Würmern und schwefelfressenden Bakterien. Sie waren ja nicht dumm, das heißt, ihr Vater war es nicht. Begrab deine Geheimnisse niemals an der tiefsten Stelle, hatte er gesagt. Begrab sie an der zweit- oder dritttiefsten, dort wird nie jemand nachsehen. Weil alle sich nur für Extreme und Rekorde interessierten. Nun, was die Menschen anging, hatte er damit recht gehabt. Sie sagte: «Das wird oft überschätzt, weißt du. Das meiste ist doch vollkommen sichtbar.»
    Adrian starrte sie mit offenem Mund an. Dann ergriff er ihre Hand und küsste sie, jeden Finger einzeln. «Du bist wunderbar», sagte er. Und wieder spürte sie dieses Kribbeln und versank in seinem Blick tiefer als in jedem Graben.
    «Wer hilft mir beim Abspülen?», fragte Rose und schob geräuschvoll ihren Stuhl zurück.

[zur Inhaltsübersicht]
23. Kapitel
    Sie hatten die Reste des Auflaufs, ein paar Sandwiches, ein wenig Obst und eine Thermoskanne Tee eingepackt, um im Bootshaus eine Mahlzeit zu haben. Zuerst jedoch machten sie sich an den Aufstieg zum Friedhof. Adrian, der gentlemanlike den Rucksack übernommen hatte, fragte sich, ob das nicht ein Fehler gewesen war, als er sah, mit welcher Leichtigkeit Ondra vor ihm den Steilhang hinaufkletterte. Ihre Hände und Füße fanden mit traumwandlerischer Sicherheit die richtigen Griffe und Tritte. Es sah beinahe aus wie ein Tanz. Lange vor ihm selbst stand sie oben und hielt mit geschlossenen Augen das Gesicht in die Sonne. Adrian schob sich ächzend über den Rand. «Du solltest aufpassen», sagte er, um Atem ringend, «wegen deiner hellen Haut.» Er warf den Rucksack ins Gras und umarmte sie, um dann über ihre blassen Wangen zu streichen. «Nicht, dass du Hautkrebs bekommst.»
    Ondra schaute ihn groß an. Sie kannte Taschenkrebse, Panzerkrebse, Wollhandkrabben, Aprikosenkrebse, Sumpfkrebse, Pfeilschwanzkrebse, Muschelkrebse, Tigerkrebse, Gelbband- und Rotscherenkrebse. Aber Hautkrebs?
    Adrian streichelte sie. «Ich habe immer das Gefühl, ich müsste auf dich aufpassen», murmelte er.
    Sie lehnte sich an ihn. «Das ist schön.»
    «Ja.» Er vergrub seine Nase in ihrem Haar.
    Ein paar Möwen landeten in ihrer Nähe. Mit klatschenden Flügeln suchte eine Schar Kormorane nach Rastplätzen. Ein Tollpatsch setzte auf, Sturmsegler ließen sich nieder. Innerhalb weniger Minuten waren sie von einem lebenden Teppich aus Vögeln umgeben. Adrian versuchte, sie nicht zu beachten. «Komm», sagte er, als er sich endgültig zu beobachtet fühlte. Mit einem misstrauischen Blick nahm er den Rucksack auf, ergriff Ondras Hand und zog sie zum Friedhofstor.
    «Was ist das?», fragte sie, als sie die Steine und Kreuze erblickte.
    Adrian führte sie über den zugewachsenen Weg. «Hier liegen meine Eltern und mein Onkel begraben», sagte er.
    «Erde», murmelte Ondra, die begriff. «Natürlich.» Genau wie die Meermenschen gingen auch sie zurück in den großen Kreislauf. Man glaubte es nicht, wenn man die Dinge sah, mit denen sie sich umgaben, aber es war so. Es war im Grunde ganz genau das Gleiche. «Das ist

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