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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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dachte, sie müsste schweben, diese Insel, wie eine Fata Morgana, nur halb wirklich, ein Geist auf den Wassern, der bei Nacht festere Umrisse besaß als am Tage. Ganz aus Glas müsste sie sein, mit nur so viel Metall wie nötig, und Stein erst dort, wo er einem vorkommen würde wie ein fliegender Fels. Mit einem Mal packte ihn die Inspiration.
    Adrian setzte sich an seinen Computer und ließ die Finger über die Tasten fliegen. Die Ideen kamen schneller, als er sie festhalten konnte. Er sah und hörte nichts mehr von seiner Umwelt, seine Wangen glühten, die Tastatur klapperte ohne Unterbrechung, wie ein Morsecode, der dem Universum mitteilte, dass etwas Aufsehenerregendes geschah. Als er endlich in seinem Stuhl zurücksank für eine erste Pause, als er alles, was in seinem Kopf war, in irgendwelche Dateien gebannt und festgehalten hatte, als eine erste Gestalt sichtbar war und sich in 3-D auf dem Monitor drehte, da merkte Adrian erst, dass er Durst und Hunger hatte, dass sein Rücken schmerzte und ihm die Arme wehtaten von der verkrampften Sitzhaltung. Seine Finger waren trotz der Wärme draußen ausgekühlt, und seine Augen brannten. Zum ersten Mal schaute er auf die Uhr. Es waren sieben Stunden vergangen.
    Adrian lächelte. Sanft strich er mit dem Finger über den Bildschirm. Da war es, sein Baby. Er musste es Christy zeigen, unbedingt. Er musste wissen, was sie davon hielt. Er würde es gerne nach ihr benennen, dachte er, weil sie den Grundstein dazu in seinem Geist gelegt hatte. Er öffnete ein Textfeld und schrieb als Widmung hinein: Für Christy. Wie alles andere auch.
    Dann verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht.
    Es gab nichts anderes, würde nie etwas geben. Das hier war sein erstes und zugleich einziges Werk, sein Vermächtnis. In Zukunft würde er Tüten kleben. Auf seine Genialität würde man pfeifen. Und selbst wenn nicht, so wäre es doch nur die Genialität eines Verbrechers, vergiftet, verdorben, interessant nur für ein paar pervers Veranlagte. Was er geschaffen hatte, das würden andere für sich reklamieren. Billings, seine Kollegen, alle, deren Namen bei dem Projekt genannt wurden, während man ihn vermutlich totschweigen würde. Maud hatte recht, er war ein toter Mann.
    Adrian ging ins Netz, schrieb eine Mail und hängte seinen Entwurf an. Sollte Professor Billings doch immerhin sehen, was er an ihm verlor. Er hatte etwas Großes geschaffen, und er wusste es. Sollte die Welt, die ihn bald verachten würde, doch das zumindest noch bemerken. Vielleicht würde sie dann ein wenig von ihm begreifen. Vielleicht würde sie zumindest bedauern. Und Christy? Adrian hielt inne. Dann drückte er auf ‹senden›.
    Er wünschte, sie wäre da. Er wünschte, er könnte den Duft ihrer Halsbeuge riechen, ihr Lächeln sehen, ihre leichten Hände auf sich spüren. Es wäre alles einfacher. Wenn er nur sicher sein könnte, dass sie ihn weiterlieben würde, er könnte alles ertragen, dachte er. Nur um sich gleich wieder gegen alles aufzulehnen: Von ihr getrennt, ein Leben lang, angewiesen auf Besuchstage, Berührungen durch Glasscheiben. Zusehen zu müssen, wie sie beide älter wurden, wie ihre Zukunft ihnen davonlief, wie sie ihm entglitt, jedes Mal ein wenig mehr, wie aus Liebe Routine wurde, Hoffnungslosigkeit, Gleichgültigkeit. Zu erleben, wie sie ihn immer seltener besuchen kam, schließlich ausblieb, log, und die langen Nächte, in denen er darüber nachdächte. Adrian hätte schreien mögen.
    Maud hatte recht. Er wäre tot, tot, wenn ihm alles weggenommen würde. Christy, seine Ideen, sein Name, seine Würde. Aber er würde das nicht zulassen. Er war nicht bereit dazu. «Ich will nicht», sagte er leise. Er wiederholte es lauter. Es hörte sich gut an, fühlte sich gut an. Er wusste, dass es das Richtige war. Er würde kämpfen. Und die Irrtümer der Vergangenheit ein für alle Mal auslöschen. Auf einmal wusste er auch genau, wie. Es würde ein Schlag sein, der ihn von allem, was gewesen war, für immer befreite.

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37. Kapitel
    Morningstar lauschte in den Hörer. «Nein, Rose, nein. Ich kann nicht davon absehen. Rose …» Er horchte wieder. «Ich bin Gerichtsmediziner, Rose. Ich kann doch nicht einfach … ich mache mich ja strafbar.» Er musste husten. «Rose, bitte, mach es mir doch nicht so schwer. Natürlich mag ich dich, was für ein Unfug. Was?» Geräusche von draußen lenkten ihn ab, und er hob den Kopf. Das klang nicht gut, gar nicht gut. Es klang nach Ärger. Und das

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