Meerestochter
konnte nach den Erfahrungen der letzten Tage eigentlich nur eines bedeuten. Er bedeckte den Hörer mit der Hand. «Christy?», rief er fragend. Als keine Antwort kam, wurde er nervös. Richtig, die Schiebetür zur Terrasse stand offen. Und die Rufe wurden lauter.
«Rose? Rose, später, ja, ich muss Schluss machen. Christy macht sich gerade mit den Nachbarn bekannt.» Er legte auf, als Rose gerade «oh Gott», sagte, und lief auf die Terrasse, über den Rasen und an die Grundstücksgrenze zu den Bosworths hinüber. Zwischen der japanischen Steinlaterne und den zurechtgeschnittenen Rhododendren blieb er stehen. Da war Christy. Angetan mit Kleid und Sandalen, trieb sie inmitten des liebevoll angelegten Goldfischteiches von Richard Bosworth, paddelte und räkelte sich und kreuzte gerade die gewölbte chinesische Brücke, die über das Gewässer führte. Eine Wolke Goldfische umspielte sie hemmungslos, ohne jeden Sinn für Kitsch, und von ihren Steinen aus reckten eine Reihe monströser Rotwangenschildkröten ihre alten Köpfe nach ihr.
«Christy, Schatz!» Morningstar war sich seiner Zuschauer wohl bewusst. Die Bosworths saßen in voller Besetzung auf der Terrasse, wo sie den Teetisch gedeckt hatten. Und hinter den umliegenden Hecken lauerte bestimmt die gesamte Nachbarschaft, wenn sie auch zu vornehm war, um sich zu zeigen, Gott sei Dank. Aber das eifrige Klicken der Rosenscheren auf der anderen Seite der Sträucher sagte genug. «Komm da sofort raus.» Er versuchte, durch seine Miene anzudeuten, dass es ernst war, ehe er mit einem mühsamen Lächeln die Bosworths begrüßte. «Mabel, Richard, der Papyrus hat sich ja ganz wunderbar entwickelt.» Er strich das raschelnde Gras beiseite, um einen besseren Blick auf die Nixe zu erhaschen. «Christy. Sofort.»
Mabel Bosworth stand auf, um ihn über das Wasser hinweg zu begrüßen. «Entschuldigt», brachte Morningstar heraus, der versuchte, über die Durchsichtigkeit von Ondras tropfnassem Kleid ebenso hinwegzusehen wie über die Löcher, die ihre Sandalenabsätze in Richards Rasen stempelten, während sie auf ihn zukam. Ihr auf dem Fuße folgten einige Frösche, die nach und nach verzagt sitzen blieben und mit aufgeblähten Kehlsäcken nach ihrer Herrin quakten. Morningstar hätte sie am liebsten in einem Zylinder verschwinden lassen. «Entschuldigt bitte, meine Nichte badet einfach zu gerne.»
«Sicher», sagte Mabel, mit einem wirklich nur knappen Seitenblick auf den in kühlem Türkis schimmernden Zwanzig-Meter-Pool in Morningstars Garten.
«Sie ist so ein Naturkind.»
«Das ist verständlich.» Mabels Lächeln saß perfekt. «Ich habe Scones gebacken, Michael, ich sorge dafür, dass Sally Ihnen ein paar hinüberbringt. Ihnen beiden.»
«Sally? Meine Güte, ist das Mädchen groß geworden.» Morningstar grüßte die konsterniert Kaugummi kauende Tochter der Bosworths und trat den Rückzug an. «Du bist einfach unmöglich», fauchte er, als er sich außer Hörweite glaubte, und packte Christy am Arm. «Mit sämtlichen Kleidern.»
«Hätte ich mich besser ausziehen sollen?», erkundigte sich Ondra. Es lag keinerlei Ironie in ihrer Stimme, was Morningstar schon beinahe wieder versöhnte.
«Nein», sagte er, mit einem Seitenblick auf das Nichts von Stoff, das auf ihrer Haut klebte. Er hätte wetten können, dass sie hundert Meter in weniger als sechzig Sekunden schwamm. Oder jedenfalls dachte er, dass er etwas in dieser Richtung denken sollte. «Nein, das wäre wohl nicht das Richtige gewesen.»
«Dann ist es ja gut.»
«Nein, Christy, ist es nicht. Das war ein Zierteich. Er ist nicht zum Schwimmen da.»
«Nicht?» Sie blieb stehen. «Aber die Fische und Kröten schwammen da doch auch? Und die Mückenlarven, die Wasserläufer, die …»
«Menschen schwimmen da nicht, Christy. Sie schauen ihn an, weil er hübsch ist.» Er schnupperte und zog die Nase kraus. «Und wie du riechst. Wie ein ganzes Watt.»
Sie strahlte und hob ihren Arm, um selbst zu schnuppern. «Mmh, gut, nicht?»
Er schüttelte den Kopf. «Ich bezweifle, dass Adrian das auch finden würde.» Als er ihr Gesicht sah, tat es ihm leid. «Entschuldige, Christy», sagte er, «aber es ist mein Ernst. Unsere Geschmäcker, und nicht nur meiner, gehen in dieser Richtung auseinander. Menschen schätzen das Fischige eher weniger, außer mit Rosmarin und Knoblauch auf ihrem Teller.»
«Oder mit Pommes», ergänzte sie. «Stimmt’s? Ich mag Fish and Chips. Vor allem die Chips. Ich mag auch Erde.» Sie blieb
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