Meerestochter
Auseinanderrutschen zu hindern. Auf der Straße hinter ihnen kam es zu einer Vollbremsung. Zwei Kaffeebecherträger stießen aneinander. Ein Mann mit Handy am Ohr begegnete einem Laternenpfahl.
«Warum?», fragte sie, als sie fertig war.
«Oh, äh.» Knightley sammelte sich. «Ich habe nur überlegt, ob Sie wohl am 28. August schon da waren.»
Zu seiner Überraschung sagte sie umstandslos: «Das war der Tag des Mordes, nicht wahr?»
«Ja», gab Knightley überrascht zu. «Ja, das war er wohl.» Er schaute zu Morningstar hinüber, der den Arm um Ondra legte und wohlwollend nickte.
«Ich war auch erstaunt zu hören, dass die Waters schon länger mit den Ames befreundet sind», sagte er. «Sie haben wohl früher öfter dort Urlaub gemacht. Ich plane übrigens selbst demnächst einen Aufenthalt dort.»
Knightley nickte. «Also, Miss Waters, wenn ich fragen darf: Wie war das am 28. August? Wann kamen Sie an?»
«Oh, es war eben dunkel geworden», sagte Ondra. «Auf der Strandparty sang gerade jemand ‹Amazing›, als ich vorbeikam.»
Morningstar lachte verständnisheischend. «Das wird dann wohl Bruno Mars gewesen sein, Schätzchen.»
Knightley zog sein Notizheft heraus. «Das ist interessant. Darf ich eben?
Amazing.
» Er notierte sich das Wort. «Und dann sind Sie direkt zu den Ames?»
«Nein», gestand Ondra. «Ich bin zu einem kleinen Strand gegangen. Kennen Sie ihn?» Sie beschrieb ihm den Platz. «Adrian parkte oben mit seinem Auto.» Sie warf Morningstar einen kurzen Blick zu, um sich bestätigen zu lassen, dass ‹Auto› das richtige Wort war. «Wir … wir hielten uns da eine Weile auf.» Sie dachte an den Abend zurück, an ihren Tanz und an das peinliche Gespräch, und errötete. Fischereigenossenschaft Süd, hoffentlich fragte der Mann sie nicht danach.
Knightley schaute sie scharf an. «Ich verstehe», sagte er dann. «Und danach?»
«Oh, wir, wir hatten ein … ein Missverständnis. Adrian fuhr mit dem Auto weg.» Sie überlegte und zeigte dann mit dem linken Arm nach rechts. «Da lang. Hinauf, meine ich. Ich ging noch ein bisschen … herum.»
«Er fuhr in Richtung des Cottages», stellte Knightley für sich klar, während er schrieb. Dann hob er den Kopf. «Danke, Miss Waters, für Ihre Offenheit. Sie haben uns sehr weitergeholfen.»
Erstaunt sah Ondra ihn an. Sie war drauf und dran, etwas zu fragen. Morningstars Griff um ihre Schultern wurde ein wenig fester.
Knightley und Morningstar tauschten noch ein paar Floskeln aus. Als er sich schon verabschiedet hatte, wandte Knightley sich noch einmal um. «Eine letzte Frage noch, Miss Waters. Was hat Sie veranlasst, aus Broxton wegzugehen?»
Morningstar wollte etwas von beendeten Ferien erzählen, aber Ondra kam ihm zuvor.
«Adrian», klagte sie traurig, «hat auf einmal gesagt, dass er mich nicht mehr …»
«… so betreuen kann, wie er es gerne möchte», fiel Morningstar rasch ein. «Der Junge hat mit seinem Architekturprojekt endlos Arbeit um die Ohren. Da fällt mir ein, wir haben ihm versprochen, noch Druckerpatronen zu besorgen. Wir müssen los. Also dann.»
Er winkte Knightley lässig zu, schnappte sich die Tüten und bugsierte Ondra über die Straße. «Also wirklich», sagte er, als sie einige hundert Meter weiter gegangen waren und er sich erschöpft auf den freien Stuhl eines Straßencafés fallen ließ. «Du hättest diesem Menschen eben beinahe dein gesamtes Intimleben anvertraut. Lernt man bei euch unter Wasser denn überhaupt nicht, ein bisschen zu lügen?» Er winkte die Kellnerin heran und bestellte einen Whiskey; den hatte er jetzt nötig.
Ondra schaute ihn mit großen Augen an. «Wozu?», fragte sie.
Der Whiskey kam, Morningstar kippte ihn herunter und schloss die Augen. «Ah», sagte er nur. Als er die Augen wieder öffnete, sah Ondra ihn noch immer verständnislos an. «Kind», sagte er. «Du lebst in einer grausamen Welt.»
Vierundzwanzig Stunden. Das war die Antwort, die Maud ihm gegeben hatte, als er sie noch einmal anrief, um sie zu fragen, ob sie sich nicht gütlich einigen könnten. Er hatte vierundzwanzig Stunden Zeit. Danach würde sie tun, was immer sie für richtig hielt. Adrian stand vor den Entwürfen für seine Insel, seinen Hotelturm. Sie taugten allesamt nichts. Er dachte an die Eingebung von neulich nachts, dass die Insel leuchten müsse, so geheimnisvoll wie ein Tiefseefisch. Und an Christy dachte er, die aus dem Nichts aufgetaucht war, um aufzuglühen und wieder zu verschwinden. Und er
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