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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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Allmählich begriff ich, welch hinterhältigen Plan die Haie hier offenbar tatsächlich verfolgten, und mit einem Schlag wurde ich innerlich ganz starr vor Entsetzen.
    Ich sollte nicht nur die Delfine für sie abschrecken, nein, ich sollte auch Gordy für sie finden – damit sie ihn fangen und sich von den Menschen als Sieger über den schattenlosen Nix und als Retter der Kanalinseln feiern lassen konnten. – Tsah! Diese Er kenntnis machte mich nicht nur unsagbar wütend, sondern ließ auch eine brennende Übelkeit in mir aufsteigen.
    Von wegen, die Hainixe waren keine Schauspieler! Es war mir schleierhaft, wie Cyril sich mir gegenüber jemals zu dieser Behaup tung hatte hinreißen lassen können! In meinen Augen waren sie Lügner der übelsten Sorte.
    Voller Zorn riss ich Janes Brief mitsamt dem Umschlag in un zählige kleine Fetzen, dann sprang ich von der Bank hoch und lief unruhig auf der Veranda auf und ab.
    Die Sonne war mittlerweile untergegangen und hatte den Him mel über dem Horizont glutrot gefärbt. Das Meer lag dunkel und schweigend da, fast wie ein stummer Vorwurf.
    Boote oder Schiffe waren nicht zu sehen, auch kein Tanker.
    »Heute ist Neumond, Leute«, murmelte ich zischend. »Schon vergessen: Die Meerbestien könnten kommen. Ihr müsst eure Ge wässer vergiften, damit sie euch nicht alle umbringen.«
    Das Ganze war so absurd, dass es wehtat. Das wirklich Schlim me daran war allerdings, dass ich nicht wusste, was ich jetzt tun sollte.
    Einerseits durfte ich Gordian weder suchen noch weiterhin auf der emotionalen Ebene nach ihm rufen, sondern musste alles ver meiden, was ihn anlocken könnte. Andererseits wollte ich mich aber auch nicht aus der Verantwortung stehlen. Dass ich mich in erster Linie meinem Gewissen verpflichtet fühlte, bedeutete ja nicht, dass ich Neerons Prophezeiung und den Willen des Meeres nicht respektierte. Ich hatte eine Aufgabe, und inzwischen war ich fest entschlossen, Kyan zu vernichten, damit Gordy es nicht tun musste. Außerdem wollte ich herausfinden, ob Zak zurückgekommen war. Beides war unmöglich zu bewerkstelligen, wenn ich an Land blieb. Um Zak zu finden, musste ich noch heute ins Meer hinabtauchen. Und zwar am besten jetzt gleich.

    Ich vergewisserte mich, dass Tante Grace im Haus und die Tür geschlossen war, stopfte die Briefschnitzel in meine Hosentasche und hastete im Schatten der Kamelien und Rhododendren zu den Klippen hinunter. Meine Kleidung verbarg ich an derselben Stelle, die auch Cyril benutzt hatte, dann tappte ich tief geduckt auf Gordys und meine Klippe zu, die bereits überflutet war.
    Aufmerksam musterte ich den Küstenstreifen. Rechts und links von mir blinkten die Lichter von Albecq und Lihou Island. Ich hörte eine Möwe kreischen, ansonsten war alles ruhig. Keine Menschenstimmen, die vom Strand der Perelle Bay herüberschall ten, kein verräterisches Zischeln oder Wispern.
    Noch bevor ich mich durch die nahezu spiegelglatte Oberfläche ins Meer hinabließ, umgab ich mich mit der speziellen Schutz hülle, mit der ich mir auf dem Weg nach Little Sark bereits die vorwitzigen Sprotten vom Leib gehalten hatte.
    Mit sparsamen Flossenschlägen bewegte ich mich vorwärts. Im Augenblick zählte nicht Schnelligkeit, sondern vor allem Wachsamkeit. Mein behände hin und her huschender Blick nahm alles auf: das sanfte Wogen des Seegrases, das rhythmische Auf- und Zuklappen der Scheren vieler kleiner Krabben, den lauernden Blick einer Moräne und jeden größeren Schatten auf den Riffs und dem sandigen Grund, der auf einen Nix hinweisen konnte.
    Ich bemerkte Gordy nicht. Er war ganz plötzlich über mir und schob sich außerhalb meiner Schutzhülle langsam in mein Ge sichtsfeld.
    Raus hier!
    Seine Gedanken drangen mühelos zu mir durch und erstickten meine überwältigende Freude im Keim. Mir blieb nicht einmal die Zeit, ihn richtig anzusehen.
    Tu einfach, was ich dir sage!
    Ich spürte meinen Widerstand von der Kopfhaut bis in die Flossenspitzen. Ohne Begründung?
    Die bekommst du, sobald wir in deinem Zimmer sind.
    In meinem Zimmer? – Hätte ich Beine gehabt, wären mir die Knie weich geworden, so viele Erinnerungen rauschten mir in diesem Moment durch den Kopf. Und plötzlich hatte ich es sehr eilig. Ich löste meine Schutzhülle auf und schwamm, so schnell ich konnte, zum Ufer zurück. Nach Gordian brauchte ich mich nicht umzusehen, er kam bis auf zwei Meter an mich heran und glitt neben mir durchs Wasser. Ich registrierte das Türkis seiner Augen, den

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