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Meerjungfrau

Meerjungfrau

Titel: Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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offenbaren. Sie durfte niemals ausgesprochen werden. Die besten Lügen enthielten allerdings einen Teil der Wahrheit.
    Auf einmal war er ganz ruhig. Sanna sollte ihren Willen bekommen. Ein kleines Stück seiner Vergangenheit konnte er ihr geben. Er fing an zu erzählen. Nach einer Weile setzte sie sich hin. Sie hörte ihm zu und erfuhr seine Geschichte. Aber nur einen Teil davon.
    Sie atmete unregelmäßig. Seit Monaten hatte sie nicht mehr im Ehebett im oberen Stockwerk geschlafen. Wegen ihrer Krankheit war es irgendwann unpraktisch geworden, dass sie im Schlafzimmer lag, und da hatte er ihr das Gästezimmer gemütlich gemacht. So gut der kleine Raum es erlaubte. Doch egal, wie viel Mühe er sich gab, es war und blieb ein Gästezimmer. Diesmal war der Krebs der Gast. Emsig und übelriechend hatte er das Zimmer in Beschlag genommen und kündigte den Tod an.
    Bald würde der Krebs Abschied nehmen, doch als Kenneth hier neben Lisbet lag und ihren unregelmäßigen Atemzügen lauschte, wünschte er, der ungebetene Gast würde noch bleiben. Denn er würde nicht allein abreisen, sondern Kenneth’ über alles geliebte Frau mitnehmen.
    Das gelbe Tuch lag auf dem Nachttisch. Er drehte sich auf die Seite und betrachtete seine Frau im trüben Schein der Straßenlaterne. Behutsam strich er über den Flaum auf ihrem Kopf. Als sie zusammenzuckte, zog er die Hand hastig zurück, um Lisbet bloß nicht aus dem wohltuenden Schlaf zu wecken, der ihr nur noch selten vergönnt war.
    Er durfte sich nachts nicht einmal mehr an sie schmiegen. Nicht so eng wie früher. Am Anfang hatten sie es versucht. Sie drängten sich unter der Decke aneinander, und er legte den Arm um sie, wie er es seit ihrer ersten gemeinsamen Nacht immer getan hatte. Aber die Krankheit raubte ihnen sogar dieses Glück. Die Berührung war zu schmerzhaft. Jedes Mal, wenn er sie streifte, schreckte sie zusammen. Deshalb hatte er ein Klappbett neben ihrs gestellt. In einem anderen Raum zu schlafen wie sie war unvorstellbar. Er kam gar nicht auf den Gedanken, sich ein Stockwerk höher allein ins Doppelbett zu legen.
    Auf dem Klappbett schlief er nicht gut. Sein Rücken nahm es ihm immer übler, und morgens musste er gründlich die Glieder strecken. Er hatte überlegt, sich ein richtiges Bett zu kaufen und neben ihrs zu stellen, aber obwohl er sich gegen die Einsicht sträubte, war ihm klar, dass sich diese Anschaffung nicht lohnen würde. Sie würden das zusätzliche Bett nicht mehr lange brauchen. Bald würde er allein oben liegen.
    Kenneth kniff die tränenden Augen zusammen und sah, wie flach und mühsam Lisbet atmete. Unter den Lidern bewegten sich die Augäpfel wie im Traum. Was wohl jetzt in ihr vorging? Träumte sie, dass sie gesund war? Hatte sie sich das gelbe Tuch um ihre langen Haare gebunden?
    Er drehte sich um und versuchte, wieder einzuschlafen, schließlich musste er arbeiten. Viel zu viele Nächte hatte er hier auf dem Klappbett gelegen, sich unruhig hin- und hergewälzt und sie angeschaut, um keinen Moment zu verpassen. Müdigkeit war sein ständiger Begleiter.
    Plötzlich musste er pinkeln. Da konnte er auch gleich aufstehen. Er würde ohnehin nicht wieder einschlafen können. Ächzend begab er sich in eine Position, aus der er sich aufsetzen konnte. Bett und Gelenke knarrten, und er blieb einen Augenblick sitzen, um die verkürzten Muskeln zu dehnen. Auf bloßen Füßen tappte er durch den kalten Flur. Das Badezimmer befand sich gleich nebenan. Als er das Licht einschaltete, musste er blinzeln. Er klappte den Toilettendeckel nach oben, ließ die Schlafanzughose herunter und schloss die Augen, als der Druck nachließ.
    Er spürte einen Luftzug an den Beinen und blickte auf. Die Badezimmertür stand offen, und ein kühler Wind schien hereingeweht zu sein. Kenneth wollte sich umdrehen und nachsehen, aber da er noch nicht fertig war, riskierte er, sein Ziel zu verfehlen. Schließlich schüttelte er die letzten Tropfen ab, zog die Schlafanzughose hoch und ging zur Tür. Wahrscheinlich hatte er sich das Ganze nur eingebildet, der kalte Lufthauch war nicht mehr zu spüren. Doch irgendetwas riet ihm zur Vorsicht.
    Das Licht im Flur war ausgeschaltet. Die Badezimmerlampe erhellte nur ein kleines Stück des Flurs, und der Rest des Hauses lag im Dunkeln. Lisbet hängte immer schon im November leuchtende Adventssterne in die

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