Mehr als ein Sommer
seiner Wolldecke verdreht und verfangen. Sanft drückte sie seinen Arm. »Wachen Sie auf«, rief Constance. »Sie werden sich sonst noch erwürgen.«
Trevor öffnete die Augen und sah sie aus großen Pupillen benommen an, dann schloss er die Augen wieder. Constance zerrte an der Decke, die sich um seinen Körper verheddert hatte.
»Ich werde Sie befreien«, sagte sie. »Sie haben sich mit ihrem Gewühle eingewickelt wie ein Karamellbonbon.«
Trevor öffnete abermals die Augen, aber nur um zu sagen: »Meine Mutter hieß May«, dann versank er wieder im Halbschlaf.
»May ist ein hübscher Name. Sie können mir alles über sie erzählen, wenn ich Sie wieder anständig liegen habe. So.« Constance riss den Zipfel der Wolldecke frei.
Mühsam setzte Trevor sich auf, rieb mit beiden Händen über sein Gesicht und blinzelte ins Licht. Constance schaltete die Leselampe ab, sodass nur die Bodenstrahler blieben, die den Gang ausleuchteten. Wassertropfen formten Streifen auf der Außenseite des Fensters, und die Signalleuchte an der Tragfläche pulsierte in der tiefschwarzen Nacht.
»Mein Mund fühlt sich an, als hätte ich Kreide gekaut«, murmelte Trevor und presste seine Finger gegen die Schläfen.
»Kopfschmerzen?«, fragte Constance. Er nickte. »Schlecht geträumt?« Die Frau zupfte die Decke auf seinen Knien zurecht. »Sie haben miaut wie ein Tier. Haben über Liebe auf den ersten Blick geredet.«
»Ich träume nie.« Trevor suchte nach etwas Trinkbarem, einem leeren Scotch-Glas, in dem das Eis geschmolzen war, nach irgendetwas, um seinen Durst zu stillen. »Entschuldigen Sie mich.«
»Unsinn, jeder Mensch träumt«, erwiderte sie, doch er war schon zwischen den Sitzen den Gang hinuntergeeilt und hatte die Wolldecke dabei auf den Boden gleiten lassen.
Trevor wankte durch die Tür in den Waschraum. Der parfümierte Uringestank in der beengten Kabine ließ ihn fast würgen, und als er sich auf den Miniatur-Toilettentopf setzte, stießen seine Knie gegen die Tür. Mit großen Schlucken stürzte er ein Dutzend Pappbecher mit Leitungswasser herunter und ignorierte dabei das Schild über dem Waschbecken, auf dem es hieß Kein Trinkwasser. Den letzten Rest Wasser spritzte er sich ins Gesicht, dann vergrub er seine Stirn in den Handflächen. Nie, niemals, solange er zurückdenken konnte — zumindest sein gesamtes erwachsenes Leben lang — , hatte er einen Traum gehabt. Er war ein solider Schläfer, und dass er nicht träumte, war etwas, worauf er stolz war. Ein Beweis für sein reines Gewissen. Träume hatten nur psychologisch Labile, kreative Typen, Menschen mit Ballast. Mit den Fingern massierte er seine Schläfen. Aber was war mit der wunderschönen Frau? Er hatte sie gesehen. May. Und jetzt war sie nicht mehr da.
Als er wieder in seinen Sitz zurückglitt, ließ Constance ihre Illustrierte auf den Schoß sinken und drapierte erneut die Wolldecke über seine Knie.
»Hören Sie«, sagte Trevor, »ich muss schlafen.« Das war eine weitere Lüge; er war ebenso weit davon entfernt, schlafen zu können, wie von Calgary.
»Ist das wahr?«, fragte sie.
»Was soll wahr sein?«
»Glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?«
»Wie können Sie mich so etwas fragen?« Ein weiteres Thema, das zu vermeiden war. Er war nicht einmal sicher, dass er an Liebe glaubte, ganz zu schweigen von Liebe auf den ersten Blick. Das Gesicht der wunderschönen Frau ragte dräuend vor ihm auf. Es mochte sein, dass er Brent geliebt hatte, doch er wusste, dass das nicht die Art von Liebe war, die sie meinte. Außerdem hatte er seinen Bruder seit so langer Zeit nicht mehr gesehen, dass diese Frage rein akademisch war. Weder er noch Angela schenkten einem obskuren Begriff wie Liebe irgendwelchen Glauben. Wenn er an Liebe dachte, erinnerte er sich an Schmerz. Tante Gladys hatte die Worte einmal gesprochen, nachdem sie mit einem Holzlöffel auf seinem Hinterteil einen blauen Flecken hinterlassen hatte, der ihm einen ganzen Monat erhalten geblieben war. »Es ist zu deinem Besten. Weil ich dich liebe.«
»Sie haben im Schlaf immerzu darüber gesprochen, mein lieber Junge.«
»Nein, das habe ich nicht«, brummte er und zog sich die Wolldecke bis zum Kinn. »Gute Nacht.«
Constance studierte Trevors Gesichtszüge, als er sich wieder unter seiner Decke vergrub. Vielleicht sollte er nicht wieder einschlafen. Er sah nicht gut aus. Sie konnte nicht umhin zu glauben, dass es eine schwächende Wirkung auf die Menschen hatte, wenn sie im Flugzeug
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