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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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Weile, egal, wo wir gerade wohnen.
    »Glaub schon«, antworte ich, und sie fragt: »Hast du Sehnsucht nach Claire?«, und ich nicke, und sie sagt: »Tja, in deinem Alter ist es besser, wenn man sich noch nicht zu sehr an jemanden bindet. Jetzt kannst du dich wenigstens auf deine Hausaufgaben konzentrieren.« Typisch!
    |369| »Man kann nichts für seine Gefühle«, widerspreche ich und sie meint: »Besonders ich sollte bei dem Thema lieber die Klappe halten, was?«, dann seufzt sie und sagt: »Es tut mir wirklich leid, dass für dich alles so kompliziert geworden ist. Als Mutter bin ich eine ziemliche Niete.«
    »Du bist eine Million Mal besser als Dad«, sage ich, und sie sagt: »Du untertreibst«, und dann gehen wir die Strandpromenade lang zurück zu unserer neuen Wohnung.

|370| Kapitel 31
Beichte
    Was soziale Kontakte angeht, kann man Jakes Leben echt vergessen. Mit Gran die
EastEnders
gucken ist so ziemlich das Spannendste. Ein ziemlich erbärmliches Würstchen, dieser Jake. Zum Glück bin ich das nicht wirklich. Komisch nur, dass ich als Ty immer ganz zufrieden war, wenn ich mal einen Abend vor der Glotze verbringen durfte. Jetzt, nachdem ich Joe war, erwarte ich mehr vom Leben.
    Ungefähr in der Mitte der Sendung geht jemand auf Ian los und verprügelt ihn. Er packt ihn am Hals und verpasst ihm eine saftige Ohrfeige. Nichts Schlimmes, eher ein ganz normaler Vorfall am Albert Square.
    Aber als ich zu Gran rüberschaue, sehe ich, dass ihre Augen voller Tränen sind und dass sie zittert und den Kopf abwendet, darum schalte ich rasch um. Gran will nicht über den Überfall reden, und wenn wir danach fragen, regt sie sich immer auf, aber sie kann keine lauten Geräusche mehr ertragen und macht die Tür nur auf, wenn ich drei Mal klopfe, außerdem hat sie Doug neulich gefragt, ob wir nicht eine größere Wohnung kriegen können, in der Platz für uns alle drei ist, weil sie sich in ihrer |371| eigenen Wohnung nicht wohlfühlt. Was gar nicht nach meiner Gran klingt.
    Wie auch immer. Auf
Channel 4
läuft eine Sendung darüber, dass Messerstechereien mit tödlichem Ausgang immer häufiger an der Tagesordnung sind. Darüber, dass die britische Jugend immer gewalttätiger wird und was die Regierung dagegen unternehmen will.
    Ich schnappe mir die Fernbedienung sofort wieder, um zu Sport oder den
Simpsons
oder so umzuschalten, aber Gran schüttelt den Kopf und sagt: »Nein, Ty, Schätzchen, das solltest du dir ruhig mal ansehen.«
    Sie geht raus und macht Tee und ich schaue mir die Sendung an. In London sind Messer angeblich am meisten verbreitet, in anderen Städten ist die Kriminalität organisierter. Dort sind Banden mit Schusswaffen das größte Problem. In London geht alles drunter und drüber. Dort hat praktisch jeder ein Messer, ob Bandenmitglied oder nicht.
    Der Bürgermeister von London   – der komische blonde Typ, den man immer in der Glotze sieht   – labert von Kids, die nicht genug zu tun haben   … mehr Freizeitbeschäftigung brauchen. Jugendclubs. Boxen. Latein.
Latein?
    Eine Frau sagt, dass man die Jugendlichen in die Krankenhäuser schicken sollte, damit sie sehen, wie Stichwunden versorgt werden. Aber das ist totaler Quatsch, weil man dann ja ewig warten müsste, bis jemand mit der richtigen Verletzung eingeliefert wird. Außerdem würde man den Ärzten und Schwestern bloß im Weg stehen. Anscheinend ist der Vorschlag noch nicht richtig durchdacht. |372| Was ein bisschen beunruhigend ist, schließlich handelt es sich um die Innenministerin.
    Ein Polizist meint, es dauert immer eine Generation, um so etwas zu ändern. Er findet, Morde aufzuklären, sei meistens ziemlich einfach, viel schwieriger sei es, sie zu verhindern.
    Dann zeigen sie Bilder von den Opfern. Von den Londoner Jugendlichen, die in diesem Jahr schon erstochen worden sind. Es ist erst September, aber die Fotos nehmen kein Ende. Ein Gesicht nach dem anderen, fast nur Jungen   – schwarze und weiße, große und kleine. Ein Typ hat einen lächerlichen Schnurrbart und ich schäme mich für ihn   – stell dir vor, dein Leben endet gerade an dem Punkt, wo du mit deiner Gesichtsbehaarung rumexperimentierst, und dann kommst du als absolute Witzfigur ins Fernsehen. Ein Junge sieht ein bisschen wie Arron aus. Ein anderer eher wie ich.
    Und dann kommt Rio, in Großaufnahme, Rio mit seinen großen braunen Augen und seinem schwarzen Kapuzenpulli, und einem Lächeln, das ich nie gesehen habe. Ich sitze inzwischen zusammengekrümmt auf dem Sofa

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