Mehr als nur Traeume
berichten hatte, offenbar für amüsant hielt, fort: »Man erzählte sich damals, daß keine Frau seinem Charme widerstehen konnte, sobald er sich vornahm, sie zu erobern. Und seine Feinde fürchteten, daß er selbst die junge und schöne Königin Elizabeth verführen könnte, wenn er an ihren Hof ging.«
Dougless spürte, wie sich Nicholas’ Finger in ihre Schulter gruben. »Ich werde Euch jetzt zu dem Schatz führen«, flüsterte er.
Sie legte den Finger an den Mund, ihn zum Schweigen ermahnend.
»Im Jahre 1560«, fuhr die Fremdenführerin fort, »gab es einen großen Skandal um Lady Arabella Sydney.« Sie legte eine Pause ein.
»Ich möchte jetzt gehen«, flüsterte Nicholas Dougless beschwörend ins Ohr.
Die Fremdenführerin fuhr fort: »Es ging damals das Gerücht um, daß Lord Nicholas, der etliche Jahre jünger war als Lady Sydney, der Vater ihres vierten Kindes gewesen sein soll. Außerdem erzählte man sich-« die Fremdenführerin senkte die Stimme und deutete mit Verschwörermiene in eine Richtung -, »daß das Kind auf jenem Tisch dort gezeugt worden sein soll.«
Man hörte ein allgemeines tiefes Atemholen, und jeder betrachtete neugierig die Tischplatte auf zwei Holzböcken an einer Wand.
»Überdies soll Lord Nicholas . ..«
Im Hintergrund des Zimmers ertönte ein lautes Summen. Es verstummte, fing wieder an, verstummte, begann von neuem, so daß es der Fremdenführerin nicht möglich war, ihren Satz zu beenden.
»Würden Sie das bitte unterlassen?« sagte die Fremdenführerin; aber das Spiel mit dem Alarmgerät ging weiter.
Dougless mußte sich nicht erst umdrehen, um zu erfahren, wer dort mit dem Öffnen und Schließen einer Geheimtüre die Alarmanlage ein- und ausschaltete. Sie bahnte sich eine Gasse durch die im Zimmer versammelten Touristen zur Fensterwand, während hinter ihr die Fremdenführerin mit strenger Stimme sagte: »Ich muß Sie bitten, das Schloß zu verlassen. Sie können den gleichen Weg benützen, den wir bisher genommen haben.«
Dougless packte Nicholas am Arm und zog ihn von der Tür mit der Alarmanlage weg. Sie ließ seinen Arm erst wieder los, als sie zwei Zimmer von Lord Staffords ehemaligem Privatgemach entfernt waren.
»An welche Nichtigkeiten man sich doch vierhundert Jahre später noch erinnert!« schnaubte Nicholas erbost.
Dougless blickte interessiert zu ihm hoch. »Ist das wahr?« fragte sie. »Das mit Lady Sydney? Auf jenem Tisch?«
Er blickte sie stirnrunzelnd an. »Nein, Madam, es ist nichts dergleichen auf jenem Tisch geschehen.« Er machte auf den Absätzen kehrt und marschierte davon, während Dougless, sich irgendwie erleichtert fühlend, ihm lächelnd nachsah. »Ich habe den richtigen Tisch Arabella geschenkt«, sagte er dann, über die Schulter blickend.
Dougless holte tief Luft, starrte ihm nach und beeilte sich dann, ihn wieder einzuholen.« Sie haben diese Dame auf einem Tisch geschwäng...« begann sie; aber da blieb er plötzlich stehen und blickte sehr streng und hochmütig auf sie hinunter. Er hatte eine Art, jemanden anzusehen, daß man tatsächlich glaubte, er wäre ein Graf.
»Wir wollen doch mal nachschauen, ob diese Schafsköpfe mein Wandfach angerührt haben«, sagte er und drehte sich wieder von ihr weg.
Dougless hatte große Mühe, bei seinen langen Schritten mitzuhalten, mit denen er nun das Haus durchquerte. »Dort können Sie nicht hineingehen«, sagte sie, als er die Hand auf eine Tür legte, auf der »kein Zutritt« geschrieben stand. Aber Nicholas beachtete ihre Warnung nicht, und Dougless hielt den Atem an und wartete auf die schrillen Töne einer Alarmanlage. Doch als es still blieb, folgte sie ihm vorsichtig in einen Raum, den sie mit Sekretärinnen und Schreibmaschinen gefüllt wähnte.
Aber da waren keine Sekretärinnen. Tatsächlich war niemand in dem Raum, nur Kartons, die sich bis zur Decke stapelten, und der Beschriftung nach waren diese mit Papierservietten und anderen für einen Restaurationsbetrieb nötigen Gegenständen gefüllt. Hinter den Kartons entdeckte sie eine wunderschöne Wandtäfelung, die vor der Öffentlichkeit zu verstecken Dougless für eine Schande hielt.
Sie folgte Nicholas noch durch drei weitere Räume und lernte hier den Unterschied zwischen restauriert und unrestauriert kennen. Die Zimmer, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, wiesen geborstene Kamine, Lücken in der Wandverkleidung und Deckengemälde auf, die vom Regenwasser, das durch lecke Dächer sickerte, verdorben worden
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