Mehr als nur Traeume
heiraten nicht die armen Töchter von Lehrern.«
»Ich verstehe Euch sehr gut, Madam«, sagte Nicholas mit vor Zorn schwarzen Augen. »Ich spüre mehr als jeder andere das Gewicht meines Familiennamens auf meinen Schultern. Ich werde meine Pflicht tun und diese schöne, kaltherzige Lettice heiraten.«
»Gut«, sagte Lady Margaret und senkte dann die Stimme. »Es wäre mir gar nicht recht, wenn dieser Montgomery-Frau etwas zustoßen würde. Sie ist mir nämlich ans Herz gewachsen.«
Nicholas starrte seine Mutter einen Moment an, drehte sich dann auf den Absätzen und verließ das Zimmer. Er ging wütend in sein eigenes Schlafgemach, lehnte sich dort gegen die Tür und schloß die Augen. Die Worte seiner Mutter waren deutlich genug gewesen: Tue deine Pflicht und heirate Lettice Culpin, oder Dougless wird »etwas« zustoßen. Während er noch ihre Worte bedachte, wußte er, wie Dougless reagieren würde, wenn er eine andere heiratete. Dougless würde nicht in diesem Haushalt bleiben, um seiner Frau zu dienen.
Ich werde Dougless verlieren und Lettice gewinnen, dachte er. Er würde Dougless Augen, die ihn voller Liebe betrachteten, gegen Lettices kalte, berechnende Augen eintauschen. Als er Lettice das erstemal begegnete, war er von ihrer Schönheit eingenommen gewesen. Dunkle Augen, dunkles Haar, volle rote Lippen. Aber Nicholas hatte schon mit so vielen schönen Frauen Umgang gehabt, daß er bald hinter ihre schöne Larve zu schauen vermochte. Sie ging im Haushalt der Staffords umher, und ihr Geist war wie eine Waage, die das Gewicht des Goldes und Silbers im Haushalt feststellte und dann dessen Wert berechnete.
Nicholas hatte versucht, sie zu verführen, was ihm jedoch nicht gelungen war. Es war nicht daran gescheitert, weil sie nicht willig gewesen wäre, sondern an ihrer Gleichgültigkeit. Als er Lettice küßte, war es so, als hätte er einer Marmorstatue einen Kuß gegeben.
Meine Pflicht, dachte er. Heute abend mußte er Dougless von seiner bevorstehenden Hochzeit erzählen. Er konnte das nicht länger aufschieben.
»Du kannst sie nicht heiraten«, sagte Dougless mit ruhiger Stimme.
»Mein Liebling«, sagte Nicholas, mit ausgestreckten Händen auf sie zugehend.
Sie befanden sich in der Mitte des Irrgartens - ein Ort, wo er sie hingeführt hatte, um ihr die unangenehme Neuigkeit mitzuteilen. Er wußte, daß sie den richtigen Weg zum Ausgang dieses Labyrinths nicht kannte und ihm deshalb nicht weglaufen konnte.
»Ich muß sie heiraten«, sagte Nicholas. »Es ist meine Familienpflicht.«
Dougless ermahnte sich zur Ruhe. Sie sagte sich, daß sie eine Aufgabe zu erfüllen habe und Nicholas erklären mußte, warum er Lettice nicht heiraten konnte. Aber wenn der Mann, den sie liebte, ihr sagte, daß er eine andere heiraten müsse, ließ die Logik sie im Stich.
»Pflicht?« preßte sie durch zusammengebissene Zähne. »Es kostet dich zweifellos große Überwindung, so eine schöne Puppe wie Lettice zu heiraten. Ich möchte wetten, du fürchtest sie wie die Pest. Und mich willst du auch noch haben, schätze ich. Ist es so? Eine Frau und eine Geliebte? Nur kann ich nicht deine Geliebte sein, wie?« Sie funkelte ihn wütend an. »Oder vielleicht doch. Wenn ich mit dir ins Bett ginge - würde dich das davon abhalten, diese böse Frau zu heiraten?«
Nicholas kam auf sie zu, versuchte sie in die Arme zu schließen, aber dann blieb er plötzlich stehen. »Böse? Lettice ist vielleicht habgierig aber - böse?«
Dougless ballte die Hände an den Seiten zu Fäusten. »Was weißt du schon von dem Bösen? Ihr Männer seid doch alle gleich, egal, wann ihr das Licht der Welt erblickt habt. Ihr seht immer nur die Fassade eines Menschen. Wenn eine Frau schön ist, kann sie jeden Mann haben, den sie möchte, egal, wie verdorben sie auch innerlich sein mag. Und wenn eine Frau häßlich ist, zählt nichts anderes mehr.«
Nicholas ließ seine Hände fallen und sah sie wütend an. »Ja, ihre schöne Fassade ist alles, was mich interessiert. Mich kümmert nicht meine Pflicht oder meine Familie oder die Frau, die ich liebe. Mir liegt ausschließlich daran, der göttlich schönen Lettice die Kleider vom Leib reißen zu können.«
Dougless sah ihn mit offenem Mund an. Ihr war so, als hätte er ihr eine Ohrfeige gegeben. Sie drehte sich auf den Absätzen herum, um den Irrgarten zu verlassen, wußte aber, daß sie den Weg zum Ausgang nicht kannte. Sie drehte sich ihm wieder zu. Der Zorn hielt sie aufrecht, aber dann war der
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