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Mehr Bier

Mehr Bier

Titel: Mehr Bier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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und drückte die Klingelpalette. Eine dünne Stimme fragte durch die Sprechanlage: »Wer ist da, bitteschön?«
    » Katastrophenschutz!«
    »Ohgottohgott!«
    »In wenigen Minuten geht das Atomkraftwerk Biblis hoch!«
    »Aha!«
    Ich wartete, daß sie aufdrückte, stattdessen fragte sie: »Soll ich die Fenster schließen?«
    Sie solle mir vor allen Dingen erst einmal die Tür aufmachen, brüllte ich, sprang dann wie ein Wahnsinniger die Treppen hoch und spürte, es war zu spät.

5
    »Das ist aber eine Überraschung.«
    Nina Kaszmarek trug ein schwarzes Taftkleid mit schwarzem Spitzenkragen, schwarze, hochhackige Schuhe, schwarze Seidenstrümpfe und lange, schwarze Handschuhe. Um Hals, Arme und am Ohr hing schwerer Goldschmuck. Die Haare waren sorgfältig frisiert, und ein dezentes Make-up betonte das Gesicht. Ihre Augen glänzten. Ob von Alkohol oder Tränen, war nicht auszumachen. Vielleicht von beidem. Sie zog die Tür ganz auf.
    »Kommen Sie herein, und machen Sie sich nichts aus meiner Aufmachung. Mein letzter Abend hier, und so… ich bin beim Packen.«
    Ich nickte und trat ein. Sie schloß die Tür hinter mir und sagte: »Kommen Sie nur. Ich ahne, weshalb Sie hier sind.« Es war totenstill. Der kleine Flur wurde nur vom Kerzenlicht erhellt, das aus dem Zimmer fiel. Daneben waren zwei Türen, wahrscheinlich Küche und Bad. Langsam schob ich mich ins Zimmer. Es war größer, als ich erwartet hatte. Riesige, überquellende Bücherregale standen an allen vier Wänden und ließen gerade die Fenster frei. An die zwanzig Kerzen, kunstvoll im Raum verteilt, sorgten für gelbes, warmes Licht. Auf dem flachen Wohnzimmertisch dampfte ein prächtiger Samowar, daneben standen zwei Tassen. Eine war leer. Sonst gab es einen kleinen Plattenspieler, Platten, einen Schaukelstuhl, zwei schwere, weinrote Sessel, und mitten im Raum ein weißes, französisches Bett. In einem Marmoraschenbecher knisterte leise eine von Nina Scheigels russischen Zigaretten vor sich hin. Auf dem Bett lag Barbara Böllig. Sie hatte die Hände über dem Leib gefaltet und blickte starr zur Decke.
    Links und rechts standen Kerzen und beleuchteten das Gesicht. Eine Art Totenmesse.
    »Na, das haben Sie ja sauber hingekriegt.«
    Dann ging ich zu Barbara Böllig. Ihre Hand war eiskalt. Ich drehte mich um, und fragte mit Blick auf den Samowar: »Arsen?«
    Nina Scheigel nahm ihre Zigarette und ließ sich in einem Sessel nieder.
    »Sind Sie immer so scharfsinnig?«
    »Nein. Aber ich habe Ihrem Nikolei heute morgen einen Besuch abgestattet, kurz nachdem Sie da waren. Er hat Ihnen das Zeug gegeben. Warum heute? Warum nicht vor fünf Monaten?«
    »Ich habe Fred gestern abend mit dem Geld erwischt. Er hat mir alles gesagt, bevor er weggefahren ist.«
    »Wieviel hat man ihm gezahlt?«
    »Fünfzigtausend, damit er für immer verschwindet.« Nicht übermäßig viel, dachte ich, und ließ meinen Blick über die Bücherreihen gleiten.
    »Da haben Sie ganz anständig was zu lesen gehabt.«
    »Was meinen Sie, wie ich meine Zeit verbringe?«
    Ich steckte mir eine Zigarette an. »Sie packen? Wo wollen Sie hin?«
    »Zur Polizei.«
    Ich fuhr herum und schrie sie an: »Warum, verdammt nochmal, haben Sie das gemacht?!«
    Sie schluckte. »Die Geschichte mußte ein Ende haben. Und nicht irgendein Ende, sondern genau dieses.«
    Sie wies durchs Zimmer.
    »Diese Frau hat mir Friedrich Böllig weggenommen, sie hat mich nicht zu seiner Beerdigung gelassen und seinen Tod mitverschuldet, wie ich gestern erfahren habe. Ich habe all die Jahre Gedanken und Kummer wegtrinken müssen, und das Weib sollte ungeschoren davonkommen?! Das konnte ich nicht zulassen. Es ist meine Abschiedsfeier… von allem! Ein bißchen dramatisch, aber mir gefällt es so.«
    Sie hustete.
    »Sie kommen ins Gefängnis.«
    Nina Scheigel stand auf und ging zum Fenster.
    »Meinen Sie, hier ist es besser als im Gefängnis? Eine Höhle aus schlechten Erinnerungen. Wie viele Jahre habe ich noch? Wer wird mich finden?«
    »Waren Sie oft hier?«
    »Jeden Tag ein paar Stunden. Ich habe gelesen, Briefe an Leute geschrieben, die tot sind, und lauter so Sachen. Was alte Leute eben machen, um die Zeit zu vertreiben.«
    Ich wischte den letzten Satz mit der Hand weg. »Was hat Fred Scheigel Ihnen über die Mordnacht erzählt?«
    »Sie hatten ihm am Tag zuvor gekündigt. Aus Angst sagte er mir nichts und ging wie jeden Abend in die Fabrik. Diesmal, um sich zu betrinken. Als die Schüsse fielen, lief er raus und fand Friedrich. Tot.

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