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war es, was auch sie nötig hatte. Einen Tapetenwechsel. Blauen Himmel. Zwiesprache mit der Ewigkeit. Eine Gelegenheit, ihr Leben so umzugestalten, daß es ihr zu der inneren Ruhe verhalf, nach der sie sich so heftig sehnte.
In weniger als zehn Minuten entwarf sie einen Schlachtplan und hinterließ an Mrs. Madrigals Tür eine knappe Nachricht:
Mrs. M,
ich bin einige Zeit weg.
Bitte machen Sie sich keine Sorgen.
Ich muß mal Luft holen.
Alles Liebe
Mona
Mona bewerkstelligte ihre Flucht per Cable Car – eine bittere Ironie, die ihr einigen Verdruß bereitete. Würde Tony Bennett sich nicht ins Fäustchen lachen, wenn er wüßte, daß Mona Ramsey, alternder Freak und transzendentale Zynikerin, gezwungen war, sich bei ihrer Flucht aus Everybody’s Favorite City eines dieser grauenhaft niedlichen Touristenwägelchen zu bedienen?
An der Ecke Powell und Market stieg sie aus und ließ die geschniegelten Massen schnellstmöglich hinter sich. Sie schlenderte die Market hinauf bis zur Seventh, bog in die Seventh ein und blieb mit einem Seufzer vor der Greyhound-Station stehen. Nach dreiminütiger Bedenkzeit kaufte sie eine Fahrkarte nach Reno, weil sie spontan entschieden hatte, daß Sonne und Himmel und Wüste ihr möglicherweise neue Horizonte eröffnen würden. Sie bekam die Auskunft, daß der Bus kurz nach Mitternacht abfahren würde.
Den Rest des Nachmittags saß sie auf dem Union Square, wo die Betrunkenen, die Penner und die kaputten Hippies sie nur bestärken konnten in ihrem Entschluß wegzugehen. Sobald die Dunkelheit hereinbrach, rauchte sie eine kräftige Mischung aus Gras und Angel Dust und ging langsam zurück zur Busstation.
Sie aß in der Snackbar gerade ein Käsesandwich, als ein grell geschminktes altes Weib von mindestens achtzig versuchte, mit ihr ins Gespräch zu kommen.
»Wo soll’s denn hingehen, Püppi?«
»Nach Reno«, antwortete Mona leise.
»Das is eine Station nach mir. Nimmste auch den Bus um Mitternacht?«
Mona nickte. Sie fragte sich, ob die Frau durch das Angel Dust grotesker aussah, als sie in Wirklichkeit war. »Was hältste davon, wenn wir zwei beide uns zusammensetzen? Ich werd beim Busfahren immer arg nervös wegen diesen Perversen und so.«
»Tja, ich weiß nicht, ob ich Ihnen da viel …«
»Ich stör dich garantiert nich. Ich red nur, wenn’s dir grade recht is.«
Mona war eigentümlich berührt. »Ja, klar«, sagte sie schließlich. »Abgemacht.«
Die alte Frau grinste. »Wie heißte denn, Püppi?«
»Mo … Judy.«
»Ich bin Mother Mucca.«
»Mother …?«
»Mucca. So ’ne Art Spitzname. Weil ich aus Winnemucca bin, verstehste?« Sie kicherte vor sich hin. »Aber das is ’ne lange Geschichte, und es hätt eh keinen Sinn, daß … Sag mal, Püppi, is was mit dir?«
»Nein.«
»Du schaust irgendwie abgefuckt aus.«
»Was?« Durch Monas Kopf brauste ein schauerliches Meeresrauschen, als hätte ihr jemand eine riesige Schneckenmuschel ans Ohr gebunden.
»Ich hab gesagt, du schaust irgendwie abgefuckt aus. Deine Augen sind ganz … Haste etwa ’nen Joint geraucht, Püppi?«
Mona nickte. »So was ähnliches.«
»Was heißt das denn?«
»Ich glaube nicht, daß Sie das …«
»War was drin?«
»Schon mal was von Angel Dust gehört?«
Mother Muccas Hand knallte mit solcher Wucht auf den Tresen, daß mehrere verschlafene Gäste von ihrem Kaffee aufschauten. »Ja, leck mich doch! Mit dem Zeug schläfert man Elefanten ein, Kind! Wenn de so blöde bist, daß de dich mit ’nem Betäubungsmittel für Viecher volldröhnst, dann haste nix zu suchen in ’nem Bus …«
Mona taumelte hoch. »Ich muß hier nicht sitzen und mir anhören …«
Eine Hand wie eine Klaue klammerte sich um Monas Handgelenk und zog sie auf den Sitz zurück.
»Scheiße, und ob de das nötig hast!« kreischte Mother Mucca.
Ein tierischer Zug
»Manche Leute trinken, damit sie vergessen«, sagte Mrs. Madrigal, die sich im Vorgarten in der Sonne aalte. »Ich dagegen rauche, damit ich mich erinnere.« Sie 20g an ihrem Kolumbianer neuester Ernte und reichte den Joint an Brian weiter.
»An was denn, zum Beispiel?« wollte er wissen.
»Ach … an alte Lieben, an Zugfahrten, an den Geschmack der Cola aus dem Ausschank, als ich noch klein war. Gras ist so was Hübsches, Sentimentales … Reader’ ’ s-Digest- Mäßiges.Ich kann gar nicht verstehen, warum die Bourgeoisie was dagegen hat.«
Brian lächelte und streckte die Beine auf dem Badetuch aus.
»Rauchen Sie schon
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