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Mehr Stadtgeschichten

Mehr Stadtgeschichten

Titel: Mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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haben immer ein Fernglas griffbereit.
    Vielleicht war sie aber auch berühmt, eine Dame der Gesellschaft, die sich das Bekanntwerden einer offenkundig sexuellen Beziehung nicht leisten konnte. Oder eine Zuträgerin für den Hite-Report, die freiberuflich ein bißchen Feldforschung betrieb. Oder eine Lesbe auf Reformkurs, die sich nur schrittweise vorantraute. Oder eine Pornodarstellerin, die für ihren großen Auftritt übte.
    Oder eine amerikanische Durchschnittsfotze, die es darauf anlegte, Brian Hawkins um den Verstand zu bringen.
     
    Als sie sich an jenem Abend am Fenster auszogen, beschloß Brian, etwas Neues zu probieren. Er behielt bloß noch seine Boxershorts an, hielt seinen Schwanz aber verborgen. Er stellte das Fernglas auf dem Fensterbrett ab, kreuzte die Arme vor der Brust und wartete.
    Lady Eleven beobachtete ihn durch ihr Fernglas. Anschließend machte sie seine Haltung nach.
    Brian zählte bis zwanzig und schaute dann wieder durch das Fernglas.
    Lady Eleven tat das gleiche.
    Was für ein beschissenes Spielchen, dachte er. Wir sind wie zwei kindische Gören, die »Mach mir alles nach« spielen. Mir soll’s recht sein, du Miststück! Dann wollen wir mal sehen, ob du auch damit fertig wirst!
    Er ging vom Fenster weg, rannte in die Küche und kam mit einer großen braunen Papiertüte zurück. Er riß die Tüte auseinander und strich sie glatt. Mit einem Magic Marker schrieb er sieben Ziffern auf das postergroße Plakat:
     
    928-3117
     
    Dann hielt er es gegen das Fenster und beobachtete die Reak tion von Lady Eleven durch das Fernglas. Sie verharrte einen Moment lang bewegungslos, bevor sie das Fernglas hob, um die Aufschrift zu studieren. In dieser Haltung blieb sie dann reichlich lange stehen.
    Plötzlich – Allmächtiger! – ging sie vom Fenster weg und kehrte gleich darauf mit einem Telefon in der Hand zurück. Brian stürzte zu seinem Apparat. Er war unsäglich erleichtert, daß er das Modell mit Verlängerungsschnur bestellt hatte.
    Sie standen dann beide in Position, waren wieder das Duplikat des anderen.
    Brian beobachtete sie durch das Fernglas. Im Schneckenmuschelrosa ihres Zimmers schien ihr bademantelumhüllter Körper vor Wärme zu pulsieren. Er wußte, wie sie roch – er wußte um den süßlichen Grasduft ihrer nassen Haare, um den verhaltenen Moschusduft ihrer Brüste …
    O Gott, sie wählte!
    Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben.
    Brians Telefon klingelte.
    Er fürchtete, sie zu erschrecken, weshalb er den Hörer ganz sachte abnahm. »Hallo«, sagte er mit ruhiger, gut modulierter Stimme.
    Schweigen.
    »Weißt du, wenn du mir deine Telefonnummer geben würdest, könnten wir … Ich könnte dich manchmal anrufen … Sonst nichts.« Er konnte sie jetzt atmen hören. Er konnte sehen, wie sie schweigend am Telefon stand.
    »Hallo … Sag mir doch wenigstens deinen Namen … Von mir aus auch nur den Vornamen. Ich bin ein netter Kerl … Ich schwör’s. Mein Gott! Findest du das nicht auch ein bißchen abgedreht?«
    Die Atemzüge wurden lauter. Zuerst dachte er, sie würde mit ihm spielen, würde ihn mit aufreizenden Geräuschen verspotten. Dann wurde ihm klar, daß sie weinte.
    »Hallo … Es tut mir leid, wirklich. Ich wollte nicht, daß es klingt wie …«
    Sie legte auf. Er sah zu, wie sie in einen Sessel sank und auf ein kleines Häufchen Elend zusammenschrumpelte. Eine halbe Minute später stand sie auf und machte die Vorhänge zu.
    Brian zog sich einen Sessel heran und beobachtete ihr Fenster, bis er einschlief.

Blutsverwandte
    Monas Gespräch mit Mrs. Madrigal dauerte eine dreiviertel Stunde. Weil sie die Enge ihres Zimmers hinterher nicht ertrug, wanderte sie in die Wüste hinaus. Etwa hundert Meter vom Haus bot sich ein ausrangiertes Lkw-Führerhaus als Zufluchtsort an.
    Sie setzte sich darauf, schaute minutenlang in den Mitternachtshimmel hoch und erwartete fast, daß dort oben eine fliegende Untertasse erschien, um sie aus dieser scheußlichen, surrealen Landschaft zu entführen.
    In San Francisco waren die Hügel jetzt grün – ein zartes Blaßgrün – und so weich wie der feine Flaum auf dem Geweih eines Hirschs. Auf dem Washington Square blühten Gelbe Narzissen und in der Barbary Lane üppige purpurrote Sträucher und Dutzende von Callas, die mit stillem Gleichmut Michaels alljährlicher Katharine-Hepburn-Vorstellung entgegensahen.
    Außerdem war ihr Vater dort! Ihr Vater, ihre Mutter, ihre beste Freundin und ihre Vermieterin, alle vereint

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