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Mehr Stadtgeschichten

Mehr Stadtgeschichten

Titel: Mehr Stadtgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Armistead Maupin
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krabbeln und den Tisch bloß für eine Person zu decken, ohne daß man sich miserabel fühlt. Stark und selbstsicher und mit sich selbst zufrieden muß man sein, und man darf nie auch nur den Hauch eines Anscheins erwecken, daß man es ohne diesen bestimmten Jemand vielleicht nicht packt. Man muß grauenhaft gut Theater spielen.«
    »Du spielst aber kein Theater, Mouse. Du bist stark.«
    »Ich will aber nicht mehr. Es hängt mir zum Hals raus, ewig die Scherben aufzusammeln und voller Heldenmut den Blick nach vorn zu richten. Ich will, daß es wenigstens einmal klappt.« Er wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, lächelte dann plötzlich und zuckte mit den Schultern. »Ich will mit einem Marlboro Man einen Salem-Spot drehen.«
    Mary Ann drückte seine Hand. »Wir sind alle so, Mouse.«
    »Ich weiß, aber bei manchen Leuten funktioniert’s.«
    »Bei dir wird’s auch bald funktionieren.«
    »Wird es nicht.«
    »Mouse …«
    »Ich will es zu sehr, Mary Ann. Selbst ein Blinder kann das sehen. Wenn du so danach hechelst, dann will dich keiner mehr. Keiner fährt ab auf diesen … gehetzten Blick.«
    Er drehte den Kopf weg und wischte sich mit der Hand über die Augen.
    »Mensch!« sagte er leise und griff wieder nach ihrer Hand. »Sieh dir nur diesen Himmel an!«
     
    Als Mary Ann und Burke aufgebrochen waren, verbrachte Michael eine halbe Stunde in der Kabine und las ein weiteres Kapitel des Isherwood-Buchs, bevor er wieder auf das Deck spazierte.
    Die Lichter der Stadt zwinkerten ihm verführerisch zu.
    Aber warum sollte ich? fragte er sich. Warum sollte ich mein Herz schon wieder in die Mangel stecken? Wen könnte ich bei einem zweitägigen Aufenthalt in einer fremden Stadt schon finden, der mir vielleicht etwas bedeutet?
    Und sollte ich das rosa oder das grüne Lacoste-Hemd anziehen?
     
    Der Taxifahrer hatte einen enormen weißen Schnurrbart und ein joviales Großvatergesicht. Michael fragte ihn nur äußerst ungern.
    »Äh … Kennen Sie irgendwelche schwulen Lokale?«
    Der Fahrer schaute verständnislos drein. »Rotlicht?«
    »Nein, nicht Rotlicht. Männer.«
    »Männer?«
    »Sí. «
    »Ah, Homosex!«
    »Sí. «
    Der Fahrer schaute nach hinten und musterte seinen Fahrgast einige Sekunden. »Homosex«, wiederholte er, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße richtete.

Der Mann in Weiß
    Die Straße auf den Berg hinauf war schlecht beleuchtet. Michael bekam nur einen flüchtigen Eindruck von staubigem Gebüsch, schwarzen Palmen und ärmlichen Häusern, die sich im Scheinwerferlicht duckten wie heimliche Liebende, die der Kamerablitz eines Privatdetektivs ertappt hatte.
    Das Taxi hielt vor einem kastenförmigen weißen Gebäude mit einem Bogengang in der Mitte. Über dem Eingang stand in schmiedeeisernen Buchstaben: SANS SOUCI.
    Sorglos, übersetzte Michael. Sorglos in Acapulco in einer schwülen Bar mit französischem Namen. In einer Nacht, in der rein gar nichts mehr einen Sinn ergibt. Es war ihm peinlich, daß er Mary Ann mit einem solchen Gefühlsausbruch gekommen war. Sie hatte einen Blick in die schwärzesten Winkel seiner Seele getan, wo es keinen Humor mehr gab und alles von Selbstmitleid vergiftet war. Sie hatte hinter die Fassade des tapferen Disney-Kobolds geblickt und dabei garantiert nichts Schönes zu sehen bekommen.
    Michael zahlte das Taxi und betrat den Bogengang. Er nickte einer alten Frau zu, die dort den Boden wischte. Ausdruckslos erwiderte sie seinen Gruß. Michael fragte sich, ob sie ein spezielles Wort für Gringoschwuchtel hatte.
    Der Bogengang führte auf eine rückwärts gelegene Terrasse, von der aus ein Hügel und ein Eckchen Bucht zu sehen waren. Hinter der mit Stroh überdachten Bar am einen Ende der Terrasse stand ein alter Mann, der wohl Wache und Barmann in einer Person war. Rundherum war es so duster, daß Michael gegen einen Stuhl stieß, als er auf die Terrasse hinaustrat.
    Er versuchte, es gelassen zu nehmen, und schaute sich nach Zeugen seiner Ungeschicklichkeit um. Es gab keine. Die Terrasse war leer. Die einzigen Geräusche waren das skelettähnliche Rappeln der Palmen auf dem Hügel und die düstere Wehklage von Donna Summer, die »Winter Melody« sang.
    Hier war etwas grundverkehrt.
     
    Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht mußte eine schwule Bar in Mexiko so aussehen. Oder hatte der Fahrer ihn falsch verstanden? Nein. Was sollte »Homosex« sonst noch heißen? War es etwa ein Scherz? Ein Machostreich, den man einem naiven Perversen aus Amerika gespielt

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