Mehr Stadtgeschichten
hätte.«
Mary Ann schaute auf die Karteikarte, bevor sie den kleinen Schlüssel an ihrer Halskette betastete. Paßte das irgendwie zusammen? Exorzierte sie Burkes Dämonen, oder half sie bloß mit, neue in die Welt zu setzen?
»Hast du das letzte Nacht geträumt?«
Er nickte. »Und was jetzt, mein Schatz?«
»Ich … weiß nicht recht.«
»Ich denke, wir sollten den Mann mit den Transplantaten darauf ansprechen.«
»Nein. Bitte. Nicht jetzt. Geben wir der Sache noch ein bißchen Zeit, Burke.«
Widerwillig erklärte er sich dazu bereit. Mary Ann wollte ihre Vorbehalte gerade untermauern, als in ihrem Blickfeld eine vertraute Gestalt erschien.
»Burke, wir müssen gehen.«
»Ich hab meinen Kaffee noch nicht ausgetrunken.«
»Ich bitte dich, Burke, leg das Geld einfach auf den Tisch!«
Er fügte sich, aber mit gekränkter Miene. Geräuschvoll stieß er seinen Stuhl zurück und stand auf.
Mary Ann hakte sich bei ihm ein und zog ihn die Grant Avenue hinunter – nur Sekunden, bevor Millie, die Blumenfee, mit einem Korb voll Rosen über ihre gewohnte Kundschaft herfiel.
Die Buße
Am Tag nach seinem Essen mit Mona wandelte Brian während seiner Schicht bei Perry’s nahezu auf Wolken. Bei Mona hatte er jetzt ein angenehm sicheres Gefühl, und er war überzeugt, daß er auf etwas Realeres und Erfüllenderes – und unvergleichlich Sinnlicheres – gestoßen war, als er je erlebt hatte.
Er hatte aber auch ein rasend schlechtes Gewissen gegenüber Lady Eleven.
Wie hatte er sie so ohne weiteres vergessen können? Vor fast einem Monat hatte er ein Auge auf sie geworfen – und zwar in doppelter Hinsicht –, und das hatte er seither jede Nacht wieder getan. Wenn sie auch sonst nichts für ihre Beziehung tat – sie bewies immerhin Verläßlichkeit. Das war doch auch etwas wert, oder?
Natürlich hatte er vorgehabt, sich nach und nach von ihr zurückzuziehen. Die phantasiebetonte Seite ihrer Liaison hatte sich beinahe verflüchtigt, und es war ihm in letzter Zeit unmöglich geworden, mit ihr zum Orgasmus zu kommen, ohne an eine andere zu denken. Trotzdem: Er hatte sie schäbig behandelt. Er hatte ihren ungeschriebenen Vertrag wegen eines bißchen Maui Zowie und eines niedlichen Spatzen in der Hand gebrochen.
Also saß er nun um Mitternacht reuig in seinem Sessel neben dem Fenster und beobachtete den elften Stock des Superman Building.
Ihr Fenster blieb jedoch dunkel.
Sie bestraft mich, dachte er. Sie läßt mich leiden, weil ich mich versündigt habe. Vielleicht aber – nur vielleicht – leidet sie selbst Qualen, weil sie sich unnötig damit plagt, daß es ihr nicht gelungen ist, mein Interesse wachzuhalten.
Doch dann, um null Uhr sieben, ging bei ihr das Licht an, und Brian bemerkte eine leichte Bewegung der Vorhänge. Erregt stand er auf und hob das Fernglas vor die Augen. Der Vorhang ging auf.
Es war Lady Eleven, klar, aber ihre Erscheinung war radikal verändert. Sie hatte nicht mehr ihren schlabbrigen Frotteebademantel an. Statt dessen trug sie wohl ein graues Wollkostüm. Die Haare hatte sie zu einem lockeren kleinen Knoten hochgebunden, und ihre Miene wirkte – selbst auf diese Distanz – streng und vorwurfsvoll.
Sie hob ihr Fernglas und betrachtete Brian einen Moment lang.
Mit einemmal kam er sich in seinem Bademantel dämlich vor. Er fragte sich, ob sie das hatte erreichen wollen.
Sie verließ ihren Fensterplatz für mehrere Minuten und kam dann mit einem plakatgroßen Stück Papier wieder. Sie legte es auf einen Tisch neben dem Fenster und kritzelte etwas darauf. Danach hielt sie es vor das Fenster.
Die Nachricht lautete: LASS SIE FALLEN.
Brian spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. Verärgerung, Verwirrtheit und Schuldgefühle bekriegten sich in ihm. Er starrte über die mondbeschienene Stadt hinweg auf das anklagende Plakat, bevor er sich in die Küche verdrückte, um eine große Papiertüte zu suchen.
Er fand eine, riß sie auseinander und fetzte mit einem Magic Marker etwas darauf.
Seine Antwort lautete: SIE IST BLOSS EINE FREUN-DIN.
Er hielt das Papier eine halbe Minute lang ans Fenster, und sie studierte es in dieser Zeit durch ihr Fernglas. Als er es schließlich weglegte, stand Lady Eleven mit verschränkten Armen da und schüttelte den Kopf.
»Verdammt noch mal!« knurrte er und konterte damit, daß er ICH SCHWÖRE ES auf die Papiertüte schrieb. Er hielt sie zum zweitenmal hoch und wackelte damit bekräftigend hin und her. Lady Eleven blieb in derselben Haltung stehen,
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