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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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schüttelte wieder den Kopf.
    »Island of the Undead?«
    Er gab mich auf und wandte sich wieder an Jed. »Magst du Lana-Turner-Filme?«
    »Aber ja doch. Wer nicht?« »Ich habe sie alle – alle seit Nicht schwindeln, Liebling . Hier, die möchte ich dir alle schenken.« Und er begann Jed die Arme vollzupacken.
    Letztendlich gab er uns mehr oder weniger alles, was er hatte – Plakate, die bis zum Ende der dreißiger Jahre zurückreichten, alle in erstklassigem Zustand. Weiß der Himmel, was sie heute wert wären. Wir fuhren mit dem Taxi zu Jed nach Hause und teilten sie auf seinem Schlafzimmerboden auf. Jed nahm alle für Filme mit Doris Day und Debbie Reynolds. Ich bekam die, auf denen Männer mit rauchenden Knarren gebückt daherliefen. Wir waren beide überglücklich.
    Ein paar Jahre später flog ich für einen Sommer nach Europa und blieb zwei Jahre. Als ich weg war, räumten meine Eltern mein Zimmer aus. Die Plakate flogen in ein Gartenfeuer.

    Manche Wünsche hatte ich mit Jed eher nicht gemeinsam, und der offensichtlichste war mein lüsternes Begehr, eine nackte Frau zu sehen. Ich glaube, in dem Jahr nach dem Reinfall bei der State Fair verging kein Tag, an dem ich nicht mindestens zweimal an das Stripperinnenzelt dachte. Es war der einzige Ort, an dem man nacktes Fleisch live sehen konnte, und mein Bedürfnis wurde immer drängender.
    Ab dem März, der auf meinen 14. Geburtstag folgte, strich ich auf einem Kalender die Tage bis zur State Fair durch. Ab Ende Juni geriet ich häufiger außer Atem. Am 20. Juli legte ich die Klamotten heraus, die ich im nächsten Monat tragen wollte. Ich brauchte drei Stunden, um sie auszuwählen. Ich überlegte, ob ich ein Opernglas mitnehmen sollte, entschied mich aber dagegen, weil es sicher angelaufen wäre.
    Die offizielle Eröffnung der State Fair war am 20. August. Normalerweise ging niemand, der noch recht bei Sinnen war, am Eröffnungstag dort hin, denn von der ungeheuren Menschenmenge wurde man schier erdrückt. Doug Willoughby und ich allerdings gingen. Wir mussten. Es half nichts, wir mussten. Wir trafen uns kurz nach Morgengrauen und nahmen einen Bus hinaus zur Ostseite der Stadt. Dort gesellten wir uns zu den fröhlichen Massen und warteten drei Stunden in der Schlange, um unter den Ersten zu sein, die reinkamen.
    Um zehn Uhr öffneten sich die Tore und 20 000 Menschen stürmten wie die angreifenden Heerscharen in Braveheart jubelnd über das Gelände. Es überrascht Sie vielleicht zu erfahren, dass Willoughby und ich nicht direkt zum Stripperinnenzelt gingen, sondern uns Zeit nahmen. Doch wir hatten nach reiflicher Überlegung beschlossen, die Situation auszukosten, und schauten uns deshalb zuerst ausgiebig in den Ausstellungshallen um. Womöglich war es das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass jemand Steppdecken und eine Butterkuh als Variante des Vorspiels betrachtete, doch wir wussten, was wir taten. Wir wollten, dass die Mädels sich warm machten und in Schwung kamen. Bei unserem ersten Besuch wollten wir keine Darbietung von minderer Qualität sehen.
    Um elf Uhr stärkten wir uns mit einem beliebten Eiskonfekt namens Wonder Bar, schlenderten dann zum Stripperinnenzelt, stellten uns in die Schlange und freuten uns, dass wir endlich von einem der Privilegien unseres Alters Gebrauch machen konnten. Doch kurz bevor wir am Eintrittskartenhäuschen ankamen, stieß Willoughby mich in die Rippen und zeigte auf das baumelnde Schild. Es war neu und darauf stand: »Kein Einlass für Minderjährige. Sie müssen 16 sein und sich entsprechend ausweisen können.«
    Ich war sprachlos. Wenn es mit der Geschwindigkeit weiterging, würde ich Rentnerermäßigung bekommen, bis ich meine erste nackte Frau sah.
    Am Schalter fragte der Mann, wie alt wir seien.
    »16«, sagte Willoughby energisch. Was sonst?
    »Du siehst mir aber nicht wie 16 aus, Junge«, sagte der Mann.
    »Ja, ich habe einen leichten Hormonmangel.«
    »Kannst du dich ausweisen?«
    »Nein, aber mein Freund hier kann sich für mich verbürgen.«
    »Verpisst euch!«
    »Wir hatten aber fest damit gerechnet, dass wir eine Ihrer Vorstellungen besuchen könnten.«
    »Verpisst euch!«
    »Wir warten seit einem Jahr darauf. Wir sind seit sechs Uhr heute Morgen hier.«
    »Verpisst euch!«
    Und so schlichen wir von dannen. Es war der grausamste Schlag, den ich bis dato in meinem Leben erlitten hatte.
    In der nächsten Woche ging ich mit Jed zur State Fair. Es war ein interessanter Kontrast, denn er plauderte

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