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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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stundenlang mit Damen in Rüschenschürzen über ihre Marmeladen und Steppdecken. Es gab nichts in der Welt des Haushalts, das ihn nicht faszinierte, und kein einziges Problem oder potentielles Missgeschick, das nicht sofort sein Mitgefühl weckte. Einmal hatte er ein Dutzend Frauen um sich versammelt, die alle wie Tante Bea aus der Andy Griffith Show aussahen und sich königlich amüsierten.
    »Also war das nicht einfach wunder bar?«, sagte er hinterher zu mir und stieß einen glücklichen Riesenseufzer aus. »Danke, dass du mich überallhin begleitest. Jetzt bringen wir dich aber zum Stripperinnenzelt.«
    Ich hatte ihm von meiner Enttäuschung aus der Vorwoche erzählt und erinnerte ihn jetzt daran, dass wir zu jung waren, um eingelassen zu werden.
    »Das Alter ist nur ein unnötiges Detail«, sagte er aufgeräumt.
    Am Zelt blieb ich im Hintergrund, während er zum Kartenschalter ging. Er redete eine Weile mit dem Mann. Ab und zu schauten beide zu mir herüber, nickten ernst, als fänden sie wirklich, dass ich an einem auffälligen Gebrechen litt. Endlich kam Jed lächelnd zurück und gab mir eine Eintrittskarte.
    »Na, los dann«, sagte er fröhlich. »Es macht dir ja hoffentlich nichts aus, wenn ich nicht mitkomme.«
    Es verschlug mir die Sprache. Voller Erstaunen schaute ich ihn an und stotterte dann mit Mühe: »Aber wie …?«
    »Ich habe ihm gesagt, du hättest einen inoperablen Hirntumor, was er mir aber nicht abgenommen hat, und dann habe ich ihm zehn Dollar gegeben«, erklärte Jed. »Viel Spaß.«
    Na, was kann ich anderes sagen, als dass es das schönste Erlebnis meines Lebens war? Die Stripperin – pro Vorstellung gab es immer nur eine, stellte sich heraus, was Willoughbys Bruder versäumt hatte uns mitzuteilen – war grenzenlos gelangweilt, sensationell gelangweilt, doch ihre schmollende Gleichgültigkeit und ihr glasiger Blick hatten etwas unerwartet Erotisches und sie sah wirklich nicht schlecht aus. Sie zog sich auch nicht ganz aus. Sie behielt einen paillettenbesetzten blauen G-String an und hatte auf den Brustwarzen Käppchen mit Fransen, doch es war eine himmlische Erfahrung, und als sie sich als eine Art Höhepunkt – und den Begriff verwende ich sehr bewusst – keine zwei Meter vor meinen bewundernden Blicken zum Publikum hinunterbeugte und zehn Sekunden die Fransen wirbeln und kurz, doch geschickt sogar in entgegengesetzte Richtungen kreisen ließ – was für ein Talent! –, dachte ich, ich sei gestorben und nun im Himmel.
    Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass es so oder sehr ähnlich sein wird, wenn ich dort einmal hinkomme. Und im Bewusstsein dessen ist in all den Jahren seitdem kaum ein Moment vergangen, in dem ich nicht ein extrem guter Mensch war.

XIII

Die Schamjahre

    In Coeur D’Alene, Idaho, meldeten Anwohner, dass ein Auto im Rückwärtsgang durch das Viertel rase. Der Stellvertretende Polizeichef Robert Schmidt ging der Sache nach und fand hinter dem Steuer eine Halbwüchsige, die erklärte: »Ich durfte das Auto benutzen und bin zu viele Kilometer gefahren und wollte jetzt ein paar davon rückgängig machen.«
Time , 9. Juli 1956

    Bild 17
    L aut einer Gallup-Umfrage war 1957 das glücklichste Jahr, das man je in den Vereinigten Staaten von Amerika erlebt hatte. Ich weiß nicht, ob mal jemand herauszufinden versucht hat, warum in diesem weitgehend ereignislosen Jahr das Glück der Amerikaner seinen schwindelnden Höhepunkt erreichte, doch ich habe den Verdacht, dass es kein Zufall ist, dass gleich im nächsten Jahr die New York Giants und die Brooklyn Dodgers die Fans in ihrer Heimatstadt schmählich verließen und sich nach Kalifornien absetzten.
    Weiß der Himmel, es war gewiss Zeit, dass der Baseball nach Westen expandierte. Denn dass sich die Mannschaften in den alten Städten des Ostens und Mittleren Westens stauten, es aber so gut wie keine in den jüngeren Riesenstädten der Staaten im Westen gab, war lächerlich. Aber den Eigentümern der Dodgers und der Giants ging es nicht um den Dienst am Baseball. Sie handelten aus Habgier. Eine Welt tat sich auf, in der Dinge getan wurden, weil sie größeren Gewinn, nicht weil sie eine bessere Welt versprachen.
    Die Menschen waren wohlhabender denn je zuvor, doch aus irgendeinem Grunde machte das Leben nicht mehr so viel Spaß. Die Wirtschaft war eine nicht mehr aufzuhaltende Maschinerie geworden. Das Bruttosozialprodukt stieg in dem Jahrzehnt um 40 Prozent, von etwa 350 Milliarden 1950 auf fast 500 Milliarden 1960

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