Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
weißen Männern aus dem Haus seiner Verwandten verschleppt, zu einer einsamen Stelle gefahren, zu Brei geschlagen, erschossen und in den Tallahatchie River geworfen. Er war 14 Jahre alt.
Weil er so jung war und seine Mutter in Chicago darauf bestand, dass der Sarg offen blieb, damit die Welt sehen konnte, was ihr Sohn erlitten hatte, gab es endlich einen landesweiten Aufschrei. Zwei Männer – der Mann der Frau, hinter der Till hergepfiffen hatte, und sein Halbbruder – wurden festgenommen und sogar vor Gericht gestellt. Die Beweise gegen die beiden waren vollkommen hieb- und stichfest. Sie hatten nicht viel getan, um ihre Spuren zu verwischen. Denn das brauchten sie gar nicht. Nach weniger als einer Stunde Beratung erklärten die Geschworenen – alle aus dem Ort, alle weiß – sie für nicht schuldig. Das Urteil wäre schneller ergangen, wenn die Geschworenen nicht eine Pause gemacht und eine Flasche Limonade getrunken hätten, bemerkte deren Sprecher grinsend. Im nächsten Jahr gaben die beiden Männer, wohl wissend, dass sie nicht noch einmal wegen desselben Delikts angeklagt werden konnten, in einem Interview in der Look launig zu, dass sie natürlich den Jungen verprügelt und ermordet hatten.
In der großen Welt draußen lief nicht alles so hervorragend für die Vereinigten Staaten. Im Herbst 1957 testeten die Sowjets erfolgreich ihre erste Interkontinentalrakete, was hieß, dass sie uns nun umbringen konnten, ohne aus dem Haus gehen zu müssen, und wenige Wochen später schossen sie den ersten Satelliten der Welt ins All. Er hieß Sputnik, war eine kleine Metallkugel, etwa so groß wie ein Beachball, und tat kaum was anderes, als die Erde zu umkreisen und von Zeit zu Zeit »Ping« zu machen. Doch es war um ein Erkleckliches mehr, als wir hinkriegten. Einen Monat später schickten die Sowjets Sputnik II los, der mit 1000 Kilo viel größer war und eine kleine Hündin drinhatte (eine kommunistische kleine Hündin), die Laika hieß. In unserer Eitelkeit gekränkt, reagierten wir prompt und kündigten nun auch einen Satellitenabschuss an. Am 6. Dezember 1957 wurden auf Cape Canaveral in Florida die Triebwerke einer gigantischen Viking-Rakete entzündet, in der sich ein schicker neuer Vanguard-Satellit befand. Vor den Augen der Welt erhob sich die Rakete gemächlich einen halben Meter, kippte um und explodierte. Es war ein demütigender Rückschlag. Die Presse bezeichnete den Vorfall je nachdem, wie angebracht man eine Witzelei fand, mal als »Kaputnik«, mal »Spottnik«, »Sprotznik« oder »Flopnik«. Präsident Eisenhowers normalerweise stabile Popularitätswerte fielen in einer Woche um 22 Punkte.
Ihren ersten Satelliten kriegten die Vereinigten Staaten erst 1958 ins All, und sonderlich beeindruckend war der nicht. Er wog knapp 15 Kilo und war nicht viel größer als eine Apfelsine. Alle vier weiteren größeren Abschüsse der USA in dem Jahr explodierten spektakulär oder schafften es sonstwie nicht in die Luft. Noch 1961 scheiterte mehr als ein Drittel der Starts in den Vereinigten Staaten.
In der Zwischenzeit schritt die Entwicklung in der Sowjetunion immer rasanter voran. 1959 schoss man eine Rakete auf den Mond, nahm die ersten Fotos von dessen Rückseite auf, beförderte 1961 erfolgreich den ersten Astronauten, Juri Gagarin, ins All und brachte ihn auch wieder heil nach Hause. Eine Woche nach dem Weltraumflug Gagarins kam der katastrophal fehlschlagende US-amerikanische Versuch einer Invasion in der Schweinebucht auf Kuba und bereicherte das Leben der Nation um noch einen Batzen Scham und Sorgen. Allmählich sahen wir bei all unserem Tun hoffnungslos unterlegen aus.
Auch die Neuigkeiten aus der Welt der Alltagskultur waren deprimierend. Forschungen zeigten, was viele Leute schon lange vermutet hatten, dass man nämlich vom Zigarettenrauchen wirklich Krebs kriegen konnte. Tareyton, die Marke, die mein Vater rauchte, veröffentlichte eilig eine Reihe Anzeigen, in denen den Rauchern cool versichert wurde, dass »aller Teer und alles Nikotin, die im Filter hängen bleiben, garantiert nicht in Ihren Hals kommen«, verschwieg aber, dass man allen tödlichen Schmier, der nicht im Filter hängen blieb, sehr wohl in den Hals bekam. Doch die Verbraucher ließen sich nicht mehr so leicht von dümmlichen, irreführenden Behauptungen täuschen, besonders nachdem ruchbar wurde, dass die Werbewirtschaft geheime Versuche mit hinterhältiger, das Unterbewusste manipulierender Werbung veranstaltete. Bei einem
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