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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Test in einem Kino in Fort Lee, New Jersey, wurde den Anwesenden ein Film gezeigt, in dem alle fünf Sekunden eine Dreitausendstelsekunde lang zwei knappe Sätze – »Trinkt Coca-Cola« und »Hungrig? Esst Popcorn!« – auf der Leinwand erschienen, viel zu schnell, als dass man sie bewusst hätte wahrnehmen können. Doch unterbewusst übten sie offenbar Einfluss aus, denn laut Life stieg der Verkauf von Cola während des Experiments um 57,7 und der von Popcorn um 20 Prozent. Bald, warnte uns Life , würden uns alle Filme und Fernsehsendungen pro Stunde Hunderte von Malen befehlen, was wir essen, trinken, rauchen, anziehen und denken sollten und aus uns allen Konsumzombies machen. (In Wirklichkeit funktionierte diese unterschwellige Beeinflussung nicht, und man ließ auch bald davon ab.)
    Ansonsten stieg die Jugendkriminalität immer weiter, und das Schulsystem schien zusammenzubrechen. Das populärste Sachbuch im Jahre 1957 war ein Angriff auf die Qualität der US-amerikanischen Schulbildung, hieß Why Johnny Can’t Read , warnte uns, dass wir gefährlich hinter den Rest der Welt zurückfielen, und sah einen Zusammenhang zwischen dem Erfolg des Kommunismus und der Tatsache, dass in den USA immer weniger gelesen wurde. Und dann manövrierte sich das Fernsehen auch noch in einen schrecklichen Skandal hinein, als enthüllt wurde, dass viele der Quizshows manipuliert waren. Charles Van Doren, jungenhaft, bescheiden, gut aussehender Spross einer Familie namhafter Akademiker und Intellektueller (Vater und ein Onkel hatten einen Pulitzer-Preis bekommen), wurde zum Nationalhelden, jungen Leuten wegen seiner guten Manieren und seines bescheidenen Auftretens als Vorbild hingestellt, als er in der Sendung Twenty-One fast 130 000 Dollar gewann, doch dann musste er zugeben, dass er die Antworten vorher erhalten hatte. Wie im Übrigen viele Teilnehmer anderer Quizshows auch, einschließlich eines protestantischen Pfarrers namens Charles Jackson. Wo man hinschaute, eine schlimme Nachricht jagte die andere. Und all das, was uns aus unserer Ruhe aufscheuchte, geschah binnen weniger als einem Jahr. Schneller sind die Leute noch nie erst glücklich, dann unglücklich gewesen.

    In Des Moines machte sich der Wechsel gegen Ende des Jahrzehnts konkret bemerkbar. Allmählich kamen Kettenläden und – restaurants auf und sorgten, wo immer sie eröffnet wurden, für ungeheure Aufregung. Jetzt konnten wir in den gleichen Restaurants speisen, das gleiche Fastfood futtern, die gleiche Kleidung tragen und Besuchern die gleichen Motelbetten bieten wie die Leute in Kalifornien, New York oder Florida. Des Moines würde genau wie alle anderen Städte werden, eine Aussicht, die die meisten Menschen ausgesprochen prickelnd fanden.
    Die Stadt verlor ihre Ulmen durch ein Ulmensterben, und die Hauptstraßen sahen splitternackt aus; in Straßen wie der Grand oder der University Avenue wurden viele alte Häuser komplett abgerissen. An ihrer statt entstanden in null Komma nichts eine helle neue Tankstelle, ein glasverkleidetes Restaurant, eine Wohnanlage in uniform modernem Stil oder nur ein geräumiger, neuer Parkplatz für ein daneben liegendes Geschäft. Ich weiß noch, dass ich einmal in Ferien war (auf einem Trip entlang der Pony-Express-Route in den Great-Plains-Staaten) und bei meiner Rückkehr feststellte, dass zwei stattliche viktorianische Häuser gegenüber der Tech High School an der Grand Avenue plötzlich schwache Erinnerungen geworden waren. An ihrer Stelle, einer scheinbar nun riesigen Schneise, stand ein sonnendurchflutetes, betonweißes, vielstöckiges Travelodge-Motel. Mein Vater schäumte vor Wut, doch die meisten Leute freuten sich und waren stolz – das Travelodge war nämlich mehr als ein Motel. Es war eine motor lodge und damit viel feiner. Des Moines mauserte sich – und ich war sowohl erstaunt als auch beeindruckt, wie schnell sich diese dramatische Veränderung vollzog.
    Ungefähr zur gleichen Zeit eröffnete ein Holiday Inn am Fleur Drive, einem baumbestandenen, grünen Boulevard, an dem zumeist Wohnhäuser standen und der aus der Stadt zum Flughafen führte. Es war ein verhältnismäßig dezentes Gebäude, hatte aber ein enormes, überaus grelles Schild an der Straße – einen kantigen Turm mit schnurrenden, sich unermüdlich im Kreise jagenden Sternenregen, knallbunten Kaskaden und wilden Mustern aus Glühbirnen –, was meinen Vater sehr beschäftigte. »Wie konnten sie es ihnen erlauben, so ein Schild anzubringen?«,

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