Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Klippe gerollt. Aber auch egal. Wenn man die McGuires besuchte, gab es nichts zu tun. Soweit ich mich erinnere, hatten sie nicht mal einen Fernseher. Jedenfalls gab es keinerlei Spielzeug oder auch nur einen Fußball, mit dem man ein wenig hätte herumkicken können. Es gab nicht einmal genug Stühle, dass alle gleichzeitig sitzen konnten.
Als Jahre später Johnny starb, entdeckte meine Mutter, dass er in wilder Ehe mit einer Frau gelebt hatte, wovon er meiner Mutter aber nie erzählt hatte. Wahrscheinlich war die Frau im Schrank oder unter den Dielen oder wer weiß wo versteckt, wenn wir zu Besuch kamen. So gesehen ist es auch gar nicht verwunderlich, dass die Brüder stets darauf erpicht zu sein schienen, dass wir schleunigst wieder fuhren.
1960, kurz vor meinem neunten Geburtstag, passierte etwas wirklich Unerwartetes. Mein Vater verkündete, dass wir in den Weihnachtsferien in Winter urlaub fahren würden, doch wohin, sagte er nicht.
Es war ein komischer, aber guter Herbst gewesen, besonders für meinen Vater. Sie müssen nämlich wissen, dass mein Vater der beste Baseballjournalist seiner Generation war – wirklich! – , und im Herbst 1960, da bewies er es. In einer Zeit, in der die Sportschreiberei großteils bleiern war oder sich las wie verfasst von enthusiastischen, aber minimal begabten Vierzehnjährigen, schrieb er einen Stil, der nachdenklich, sprachgewandt und vergleichsweise niveauvoll war. »Ordentlich, aber nicht knallig«, sagte er immer, wenn er mit einer schwungvollen Geste der Zufriedenheit das letzte Blatt aus der Schreibmaschine zog. Und wenn es darum ging, Termine einzuhalten, war er unschlagbar. Am 13. Oktober 1960, bei der World Series in Pittsburgh, zerstreute er eventuell noch vorhandene Zweifel an seiner Qualität ein für alle Mal.
Die World Series endete mit einem der dramatischen Momente, auf die sich der Baseball damals zu spezialisieren schien: Bill Mazeroski von den Pittsburgh Pirates erzielte beim neunten Inning einen Homerun, der den Yankees den Sieg nahm und wundersamerweise und völlig unerwartet die bescheidenen Pirates damit beglückte. Praktisch alle Zeitungen des Landes berichteten darüber im gleich faden, umständlichen, verblüffend uninspirierten Ton. Hier zum Beispiel ist der erste Absatz der Geschichte, die am nächsten Morgen auf Seite eins der New York Times stand:
»Heute holten die Pirates nach 35 Jahren zum ersten Mal wieder die World-Series-Baseballmeisterschaft nach Pittsburgh. Bill Mazeroski schlug im neunten Inning einen Homerun hoch über die linke Feldbegrenzung des historischen Forbes Field.«
Und das hier lasen die Leute in Iowa:
»Der heiligste Gegenstand in der Pittsburgher Baseballgeschichte verließ Forbes Field am späten Donnerstagnachmittag unter einer schmutzigen grauen Trainingsjacke und Polizeischutz. Es war natürlich das Homeplate, an dem Bill Mazeroski seinen begeisternden Homerun beendete. Schiedsrichter Bill Jackowski musste allerdings seinen Rücken breit machen und die Arme ausstrecken, um die Menge so lange aufzuhalten, bis Bill und die Pirates den Sieg auch formal errungen hatten.
Pittsburghs Stahlwerke hätten nicht lauter sein können als die Zuschauermenge auf dem traditionsreichen Feld, als Mazeroski den zweiten Schlag im neunten Inning des Yankees Ralph Terry parierte. Während der Ball über die efeubewachsene Backsteinmauer segelte, stürmte die Menge schon von den Tribünen und drohte, plötzlich völlig außer Rand und Band, Maz daran zu hindern, das Homeplate zu berühren nach dem Lauf, der das 10:9 brachte und mit dem er den stolzen Yankees den Titel entriss.«
Vergessen Sie nicht, dass mein Vater die Geschichte nicht in aller Muße schrieb, sondern im Lärm und Trubel einer überfüllten Pressekabine, direkt im Jubelgeschrei nach Spielende. Er konnte sich auch keinen einzigen Gedanken oder eine hübsche Wendung (wie »den Rücken breit machen und die Arme ausstrecken«) vorher ausdenken und dann lässig im Text unterbringen. Da Mazeroskis Homerun die Erwartungen der ganzen Nation auf einen sicheren Sieg der »stolzen Yankees« grob enttäuschte, mussten alle anwesenden Sportjournalisten alles wegwerfen, was sie bis zu dem Schlagmann davor noch hatten sagen wollen, und von vorn anfangen. Sie können suchen, wie Sie wollen, einen schöneren Bericht von der World Series finden Sie in keinem Archiv, es sei denn, er ist auch von meinem Vater. 7
Das wusste ich zu der Zeit natürlich nicht. Ich wusste nur, dass mein
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