Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
kletterten an Bord fliegender Dumbos, bewunderten im Tomorrowland die aufregenden Annehmlichkeiten des Monsanto-Hauses, das ganz aus Plastik war, machten eine Fahrt im Unterseeboot und eine Flussschiff-Safari, bestiegen eine Rakete zum Mond. (Die Sitze wackelten sogar. »Huch!«, kreischten wir in lustvoller Angst.) Damals war Disneyland ein bei weitem weniger glattes, manikürtes Wunder als heute, doch immer noch das Schönste, was ich je gesehen hatte – vermutlich das Schönste, was zu der Zeit in den Vereinigten Staaten existierte. Mein Vater war absolut entzückt, wie ordentlich und zweckmäßig alles war und wie es den Zauber eines fantasievollen Filmsets besaß, und stellte ein ums andere Mal die rhetorische Frage, warum nicht die ganze Welt so sein könne. »Aber natürlich billiger«, fügte er hinzu, gutgelaunt wieder der Alte und steuerte uns geschickt an einem Souvenirstand vorbei.
Am nächsten Morgen stiegen wir ins Auto und brachen zu der Tausendmeilenrückfahrt über Wüste, Gebirge und Prärie nach Des Moines auf. Es war eine lange Fahrt, doch alle waren glücklich und zufrieden. Wir hielten nicht in Omaha – fuhren dort nicht einmal langsamer –, sondern gleich nach Hause. Und wenn es eine bessere Art gibt, einen Urlaub zu beschließen, als nicht in Omaha zu halten, dann weiß ich es auch nicht.
Das Streben nach Vergnügen
Mrs. Dorothy Van Dorn reichte in Detroit die Scheidung ein, weil ihr Mann 1) ihr gesamtes Essen in die Tiefkühltruhe legte, 2) die Tiefkühltruhe abschloss, 3) sie für das Essen, das sie aß, bezahlen ließ und ihr dabei 4) die in Michigan übliche Umsatzsteuer von drei Prozent abknöpfte. Time , 10. Dezember 1951
Time , 10. Dezember 1951
Bild 4
S paßhaben war in den 1950er Jahren etwas ganz anderes als heute, hauptsächlich, weil man nicht so oft Gelegenheit dazu bekam. Was, möchte ich behaupten, nicht per se schlecht ist. Toll vielleicht auch nicht, aber auch nicht schlecht. Man lernte, auf sein Vergnügen zu warten, und wusste es zu schätzen, wenn man es bekam.
Meine vergnüglichste Erfahrung dieser Jahre fiel auf einen heißen Tag im August 1959, kurz nachdem mir meine Mutter mitgeteilt hatte, dass sie eine Einladung für mich angenommen habe, mit Milton Milton und seiner Familie einen Tagesausflug zum Ahquabisee zu machen. Über diese voreilige Zusage freute ich mich nun keineswegs, glauben Sie mir, denn Milton Milton war die nervigste, widerwärtigste, dämlichste Flasche, die die Welt je hervorgebracht hatte, und seine Eltern und seine Schwester waren sogar noch schlimmer. Sie waren laut, stritten sich die ganze Zeit wie die Besenbinder, erzählten blöde Witze und aßen mit so weit offenen Mündern, dasss man bis zu ihren Zäpfchen und noch ein ganzes Stück weiter sehen konnte. Mr. Milton hatte einen Sektkorken großen Adamsapfel und sah der Disneyfigur Goofy gespenstisch ähnlich. Seine Frau war genauso wie er, nur haariger.
Ihre Vorstellung von Luxus war es, einen Teller mit Fig Newtons herumzureichen, den einzig wahrhaft grauslichen Keksen, die je gebacken wurden. Und wenn Sie dabei hässlich lachten, rissen sie den Mund weit auf und nutzten die Gelegenheit, einem zu zeigen, wie ein gut durchgekauter Fig Newton in seinen letzten Momenten vor dem ewigen Dunkel aussah (schwarz, pampig, grässlich). Eine Stunde mit den Miltons zu verbringen war wie ein Besuch im zweiten Kreis der Hölle. Natürlich setzte ich sie wiederholt mit ThunderVision in Brand, doch sie waren eigenartig unausrottbar.
Ich hatte ihre Gastfreundschaft bis dato erst einmal genossen, und zwar bei einer Pyjamaparty, bei der ich der einzige Gast war, das heißt, wahrscheinlich der einzige der Eingeladenen, der auch kam. Und da zwang mich – ich wiederhole: zwang mich – Mrs. Milton, Rindfleischbröckchen auf Toast zu essen, ein Gericht, das sich eng an die Vorlage Erbrochenes hielt, und schickte uns um halb neun ins Bett, nachdem Milton, der ungefähr 16 Stunden so getan hatte, als sei er ein Löffelbagger, bei der Hälfte von I’ve Got a Secret eingeschlafen war.
Als mir meine Mutter also mitteilte, dass sie mich in einem Anfall liebenswürdigen Wahnsinns erneut zu mehreren Stunden in der Gesellschaft der Miltons verdammt hatte, war mein Entsetzen praktisch grenzenlos.
»Sag mir, dass das nicht wahr ist«, stöhnte ich und begann in kleinen, verstörten Kreisen auf dem Teppich herumzutigern. »Sag mir, dass das alles nur ein böser Traum ist.«
»Ich dachte, du magst Milton«,
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