Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
ein Dampfmaschinenenmuseum in West Windsock«, fuhr er frohgemut fort und hielt eine Broschüre hoch, die ihm aber niemand abnahm. »Sie haben eine Zweitageskarte eigens für Familien, die mir sehr günstig erscheint. Hast du schon mal ein Dampfklavier gesehen, Billy? Nein? Das überrascht mich nicht. Es gibt nämlich nicht viele Leute, die schon mal eines gesehen haben.«
Das Schlimmste an der Fahrt gen Westen war, dass es bedeutete, auf dem Rückweg in Omaha Halt zu machen, um die schrägen Verwandten meiner Mutter zu besuchen. Omaha war für alle Beteiligten eine Zerreißprobe, gerade auch für die, die wir besuchten. Deshalb verstand ich nie, warum wir dort hinfuhren, doch wir legten immer einen Halt in Omaha ein. Vielleicht, weil meinen Vater die Vorstellung reizte, einen Gratiskaffee zu bekommen.
Meine Mutter ist in bemerkenswerter Armut aufgewachsen, in einem winzigen Haus, eigentlich einer Hütte, am Rand der riesigen, berühmten Schlachthöfe von Omaha. Hinter dem Haus war ein kleiner Hof, der an einer jähen Klippe endete, unter der sich, so weit das Auge reichte (scheint es mir jedenfalls in der Erinnerung), im Dunst die endlosen Schlachthöfe hinzogen. Aus Tausenden von Meilen Entfernung wurde jede Kuh dorthin gebracht, die noch einmal hysterisch muhte und ein paarmal recht flüssig schiss, bevor sie weggeführt wurde, um zu Hamburger-Hack zu werden. Einen Geruch, wie er besonders an heißen Tagen von den Schlachthöfen aufstieg, haben Sie noch nie gerochen und ein solch unglückliches Klagegeschrei auch noch nie vernommen. Es hörte nie auf und war ohrenbetäubend – der Lärm prallte beinahe von den Wolken ab –, und noch einen Monat später schaute man alle Fleischprodukte zweimal an.
Der Vater meiner Mutter, ein gutherziger irischer Katholik namens Michael McGuire, hatte fast sein gesamtes Erwachsenenleben für kargen Lohn als ungelernter Arbeiter auf den Schlachthöfen geschuftet. Seine Frau, die Mutter meiner Mutter, war gestorben, als meine Mutter sehr klein gewesen war, und er hatte fünf Kinder mehr oder weniger im Alleingang großgezogen. Meine Mutter und ihre jüngere Schwester Frances machten den Großteil der Hausarbeit. Im letzten Jahr an der Highschool gewann meine Mutter einen städtischen Redewettbewerb, und der Preis war ein Stipendium an der Drake University in Des Moines. Dort studierte sie Journalismus, arbeitete im Sommer beim Register (wo sie meinen Vater kennen lernte, einen jungen Sportreporter mit breitem Grinsen und einer Schwäche für auffällige Schlipse, wenn man alten Fotos trauen darf) und kehrte eigentlich nie wieder nach Hause zurück, weswegen sie sich, glaube ich, immer ein wenig schuldig fühlte. Auch Frances ging schließlich und wurde Nonne, eine vom schüchternen, flattrigen Typ. Der Vater starb ziemlich jung, lange vor meiner Geburt, und hinterließ das Haus den drei seltsam undynamischen Brüdern meiner Mutter, Joey, Johnny und Leo.
Schon in frühester Kindheit war ich immer erstaunt, dass meine Mutter und ihre Geschwister aus demselben Genpool stammten. Und ich glaube, sie selbst hat eigentlich auch immer ein bisschen gestaunt. Mein Vater nannte die Brüder die Three Stooges nach der beliebten Komikertruppe, obwohl das vielleicht auf eine Lebendigkeit und eine Lebensfreude deutete (ganz zu schweigen von dem Unterhaltungstalent, sich mit zwei ausgestreckten Fingern in die Augen zu stechen), die sie keineswegs besaßen. Sie waren die drei uninteressantesten menschlichen Wesen, die ich je kennen gelernt habe. Sie verbrachten ihr ganzes Leben in diesem winzigen Haus, obwohl sie praktisch in einem Bett geschlafen haben müssen. Ich wüsste nicht, dass einer von ihnen je gearbeitet oder sich überhaupt aus dem Haus bewegt hätte. Leo, der Jüngste, besaß eine elektrische Gitarre und einen kleinen Verstärker. Wenn man ihn bat, etwas zu spielen – und nichts liebte er mehr –, verschwand er 20 Minuten lang im Schlafzimmer und tauchte zur Verblüffung aller in einem grünen, paillettenbesetzten Cowboyanzug wieder auf. Da er nur zwei Lieder konnte, beide mit denselben Akkorden in derselben Reihenfolge, dauerten seine Konzerte nie lange. Johnny saß sein Leben lang an einem leeren Tisch und trank still vor sich hin – er hatte eine unglaublich rote Nase, wirklich unglaublich –, und Joey hatte überhaupt keine positiven Eigenschaften. Als er starb, hat sich, glaube ich, niemand groß drum geschert. Wahrscheinlich haben sie seine Leiche einfach nur über die
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